Warum glauben so viele Menschen an Verschwörungstheorien?
Einleitung
Verschwörungstheorien sind kein neues Phänomen, sondern es hat sie immer schon gegeben (Schaeffer: 2018). Allerdings hat die Verbreitung, Brisanz und Relevanz von Verschwörungstheorien insbesondere durch die Digitalisierung deutlich zugenommen (vgl. Pörksen: 2019). Die Existenz von Verschwörungstheorien zeigt auf, dass es eben keinen gesellschaftlichen Konsens gibt, sich grundsätzlich auf Wissenschaftlichkeit, Rationalität und gesicherte Fakten zu verlassen (vgl. Habermas: 2014). Die Verbreitung von Verschwörungstheorien zeigt uns auf, dass die Aufklärung der Gesellschaft eben nicht als gesichert selten kann (Adorno/Horkheimer: 1995 (1969)). Und: Der Hinweis, dass jemand kritisch sein soll, führt ins Leere. Menschen, die Verschwörungstheorien vertreten, beanspruchen ja gerade für sich, kritisch zu sein und werfen ihren Kritikern vor, unkritisch zu sein. Selber Denken hilft trotzdem, sapere aude, also den Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, bedeutet nämlich, den eigenen Verstand und das eigene Denken kritisch zu beäugen, um sich nicht in die Irre führen zu lassen.
Das ist gar nicht so leicht, denn:
- Natürlich gibt es echte Verschwörungen: Dieselskandal, den Skandal um die Manipulation des Libor-Zinssatzes. Natürlich verabredet sich immer wieder eine Gruppe von Mächtigen verabreden, um Vorteile zu erlangen oder Verbrechen zu begehen.
- Verschwörungstheorien wie Chemtrails zeichnen sich allerdings durch ein geschlossenes Weltbild aus – das heißt, sie sind gegen Kritiker immun.
Die erkenntnistheoretische und zugleich politische Schwierigkeit ist Folgende: Es gibt tatsächlich Verschwörungen, von Managern oder Politikerinnen und Politikern, die Lügen – daher ist es durchaus richtig, gegenüber diesen Äußerungen kritisch zu sein. Was aber echte Verschwörungen von Verschwörungstheorien unterscheidet: Sie kommen immer heraus, weil jemand plappert, weil Fehler passieren. Verschwörungstheorien gehen aber davon aus, dass genau das nicht passiert, dass also Menschen sich verabreden, niemand darüber redet und es nahezu keine Fehler bei der Manipulation der Welt gibt. Verschwörungstheorien liegt also ein bestimmtes Denken zugrunde. Daher folgen wir der des Duden als „Vorstellung oder Annahme, dass eine Verschwörung, eine verschwörerische Unternehmung Ausgangspunkt von etwas sei“. Im aktuellen zeitgenössischen Kontext der Coronakrise meinen wir dabei Theorien wie die, dass die Coronakrise ein geplanter Crash der Wirtschaft sei, ein geopolitisches Manöver eines Staates zur Schwächung eines anderen, und dass Regierungen bewusst den Schaden von Corona völlig übertreiben, um eigene Handlungsfähigkeit zu gewinnen.
Funktionen von Verschwörungstheorien
Gemäß dem psychologischen Funktionalismus wird ein bestimmtes Verhalten nur gezeigt, wenn es bestimmte Funktionen erfüllt. Daher stellt sich natürlich die Frage, welche Funktionen gerade im Kontext der Coronakrise solche Verschwörungstheorien erfüllen sollen. Wir sehen insbesondere folgende Funktionalitäten von Verschwörungstheorien
- Komplexitätsreduktionsfunktion: Die Coronakrise ist schon an sich schwer zu verstehen, und gerade fehlendes Wissen (vor allem auch aufgrund fehlender Daten, z.B. der tatsächlich Infizierten) macht diese Krise schwer verständlich. Ein nicht verständliches Phänomen wird jedoch gern als unangenehm bzw. als Bedrohung empfunden (Bednarz/Giesa 2015: 10), weshalb es ein Bedürfnis nach leichteren, verständlicheren Erklärungen gibt (vgl. Besand: 2014). Genau hier liegt auch der Grund dafür, weshalb populistische Politikerinnen und Politiker bzw. Parteien auch gern solche Verschwörungstheorien teilen bzw. verbreiten. Denn auch sie setzen auf einfache Antworten auf komplexe Fragen (Müller: 2016). Und die Erklärungen vieler Verschwörungstheorien zur Coronakrise sind deutlich einfacher.
- Emotionale Entlastungsfunktion: Viele der jetzt dargelegten alternativen Theorien laufen letztlich darauf hinaus, dass das Coronavirus nicht so schlimm sei, dass die Folgen nicht so drastisch sein werden und dass die Regierung ja überreagiere. Die Vorstellung, dass es zu tausenden Toten kommt, zu möglicherweise monatelangen Freiheitseinschränkungen und zu einer massiven Rezession der Wirtschaft samt allen Folgekosten, ist sehr unangenehm. Wenn man dann die Auswahl hat zwischen einer sehr negativen Botschaft und einer deutlich weniger negativen Botschaft. Beispielhaft hierfür sind die Thesen von Wolfgang Wodarg.
- Gefühl von Macht statt Ohnmacht: Verschwörungstheorien enthalten auch immer eine Lösung: Wenn die mächtigen Verschwörer an ihrem agieren gehindert würden, gäbe es ja das Problem nicht. Anstatt also anonyme Kräfte wie der Globalisierung oder gar dem Zufall ohnmächtig ausgeliefert zu sein, bieten Verschwörungstheorien einen scheinbar ermächtigenden Ansatz: Eine kleine Gruppe von Menschen.
- Gefühl intellektueller Überlegenheit: Das Streben, anderen Menschen überlegen sein zu wollen und sich von ihnen zu unterscheiden, ist für Menschen in unterschiedlich starkem Maße gegeben (Reckwitz: 2018), und seit Nietzsche allgemein philosophisch anerkannt. Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, glauben oft, dass sie damit im Besitz einer Wahrheit sind, welche andere Menschen nicht besitzen. Durch diese Differenz können sie sich ihnen wiederum intellektuell überlegen fühlen. Die vielen negativen Meinungen zu den Verschwörungstheorien werden einfach mittels eines starken Bestätigungsfilters und notfalls der Verschanzung im Echobunker (vgl. Pörksen: 2019; Schaeffer: 2018) ausgeblendet. Auch dies wiederum ist psychologisch durchaus rational, denn der erlebten Machtlosigkeit durch die Coronakrise wird ein intellektuelles Machterleben kompensatorisch entgegengesetzt. Dies ist gerade für Menschen mit einem hohen Machtmotiv (Fodor: 2010) attraktiv
- Herstellung von Kohärenzsinn: Wir Menschen sind in sehr starkem Maße (wenn auch mit starken individuellen Unterschieden) sinnsuchende Wesen (Pörksen 2019: 51; Heidegger 2006: 152). Daher wollen wir auch, dass es für bestimmte Sachverhalte eine tatsächliche Rechtfertigung, einen Gesamtzusammenhang gibt (Boltanski/Thèvenot: 2007). Tatsächlich zeigt sich auch immer wieder, dass wenn wir einen Sinn in etwas erkennen, uns dies zufriedener macht (Grevenstein/Aguilar-Raab/Bluemke: 2018). Die Corona-Pandemie erscheint objektiv ziemlich sinnlos, da Menschen sterben, die Wirtschaft und die Demokratie nachhaltig geschädigt werden und viel menschliches Leid geschieht. Im Kontext einer Verschwörungstheorie wird die Pandemie jedoch mit Sinn aufgeladen und somit auch deutlich aushaltbarer.
Warum es schwer ist, mit Verschwörungstheortikern zu argumentieren
Warum ist es so schwer, mit Menschen in Verschwörungsdenken zu argumentieren?
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit gibt es drei Gründe:
- Generell menschliche
- Speziell psychologische
- Geschlossenes Weltbild von Verschwörungsdenken
- Generell menschliche Gründe:
Wir Menschen geben ungern Fehler zu. Wir versuchen sehr viel, um uns davor zu drücken. Sei es beim zu spät kommen, sei es im Straßenverkehr. Denn es würde oftmals bedeuten, dass unser Ego beschädigt wird. Beim Verschwörungsdenken ist dies nochmal stärker, was dazu führt, dass andere Argumente kaum gehört werden. Warum? Da gibt es:
- Speziell psychologische Gründe
Wissen Sie, was das Besondere an Möbeln ist, die wir selbst aufbauen? Mögen wir die mehr oder weniger als jene, die wir fertig gekauft haben? Oftmals mögen wir die mehr. Warum? Weil wir sie – mit Mühe und manchmal Streit – selbst aufgebaut haben, wir haben also ein sogenanntes emotionales Investment gemacht.
Genauso ist das bei Verschwörungsdenken. Sarah und Jack Gorman beschreiben in einem ganzen Buch, warum Menschen Fakten ignorieren, die ihr Leben verbessern können. Der Psychologieprofessor und die Spezialistin für öffentliche Gesundheit erklären, dass Menschen persönliche Überzeugen fast wie persönlichen Besitz behandeln. Das heißt: Wenn sie Zeit und Emotionen investiert haben, diese Überzeugungen zu festigen, fällt es umso schwerer, sich davon zu trennen. Unter anderem, weil sie sich ja dann auch eingestehen müssten, dass sie sich geirrt haben und die investierte Zeit zum Festigen der Überzeugung falsch investiert war. Statt das zu tun, verbarrikadieren wir uns lieber mit unserer Meinung und gehen in den so genannten „Echobunker“ (Pörksen: 2019).
Der dritte Grund, warum es so schwer ist:
- Geschlossenes Weltbild von Verschwörungsdenken
Was unterscheidet Verschwörungsdenken von gesunder Skepsis? Der Generalverdacht und eine Art von Absolutheit. Der Generalverdacht im Sinne von: „Das ist doch anders, da steckt doch jemand dahinter und es ist anders als die offizielle Geschichte.“ Dieses Denken führt dazu, nicht nur alles zu hinterfragen, sondern auch nichts mehr zu glauben, was nicht ins eigene Denken passt.
Weil so ein Denken also immer davon ausgeht, dass hinter vielen Vorgängen eine geheime Verschwörung steckt, die Menschen in die Irre führen möchte, sucht ein solches Denken Beweise, die genau das bestätigen. Dafür gibt es den Begriff des Bestätigungsfehlers. Verschwörungsdenken wertet zudem auf, da es ja anders ist als die meisten Menschen, die breite Masse. Daher führt Verschwörungsdenken dann zu obskuren Webseiten, Youtubekanälen, wo es dann auf Gleichgesinnte trifft. Außerdem sichert es sich ab. Leute, die gegen Verschwörungsdenken argumentieren, sind entweder Teil der Verschwörung oder (noch nicht) erleuchtet (vgl. Pörksen: 2019).
Weil also Verschwörungsdenken davon ausgeht, dass Menschen permanent in die Irre geführt werden, führt es jedoch selbst in die Irre. Es sagt, es sei kritisch und suche nach alternativen zur offiziellen Geschichte stattdessen ist es aber in Wahrheit immun gegen Fakten und Erklärungen, die diesem Denken widersprechen.
Daher untergräbt Verschwörungsdenken auch unsere Gesellschaft. Jene Menschen, die immer noch die Impfverschwörung glauben, obwohl Studien längst widerlegt haben, dass Impfen Autismus verursacht (Skudlarek 2019: 66), gefährden das Leben anderer. Das zeigt der Ausbruch von Masern in den letzten Jahren. Das zeigen die Reichsbürger, die daran glauben, dass Deutschland nicht souverän seien und gerne Sozialleistungen kassieren, aber keine Steuern zahlen und zahlreiche Polizisten verletzt haben.
Was man tun kann?
Wie immer in der Kommunikation gibt es immer mindestens zwei Seiten: Sendend und empfangend.
Wer es mit Menschen aufnimmt, die Verschwörungsdenken praktizieren, sollte auf folgendes achten:
- Wer ist das Gegenüber?
- Wer sind die Adressaten?
- Wie gesprächsbereit ist das Gegenüber?
Ist ihr Gegenüber eine Person, die sich schon tief hineinbegeben hat und seit Jahren Verschwörungsdenken äußert; oder sogar ein Profi? Dann wird es schwer, denn diese Menschen sind seit Jahren geübt. Ist die Person ihr Adressat oder gibt es andere, die noch mitlesen oder zuhören – zum Beispiel bei einer Familienfeier? Und merken Sie, ob das Gegenüber gesprächsbereit ist? Wenn nicht, dann sind vielleicht zuhörende Menschen Ihre Adressaten.
Welche rhetorischen Strategien gibt es nun:
Offene Fragen stellen nach Quellen, der Legitimation aber vor allem auch, warum eine Person bestimmt Gedanken äußert. Da kommen oft bestimmte Gefühle auf.
Die Gefühle können Sie aufnehmen und spiegeln oder gar bestätigen und dann äußern, warum sie anderer Meinung sind. Ein Beispiel:
„Ja, mir machen diese vielen Einschränkungen auch Angst und ich wünsche mir auch, dass es alles schnell vorbei ist und ich möchte nicht, dass wir hier Zustände wie in New York oder Italien haben, wo massenweise Menschen sterben.“
Sprechen Sie Widersprüche an. Entweder Widersprüche in den Äußerungen des Gegenübers oder zu allgemeinen Werten. Beispiel: Wenn jemand sich auf Experten beruft aber auf sozialen Medien Webseiten teilt, die kein Impressum haben oder andere Zeichnen von mangelnder Seriosität tragen. Sie können darauf hinweisen: „Einerseits zitierst du Fachpersonen andererseits von einer Webseite, die kein Impressum hat.“
Daran können sie sehen, ob jemand Ihnen da entgegenkommt oder nicht. Beispiel: „Ja stimmt, das wirkt nicht so seriös.“ Oder jemand reagiert: „Das ist doch egal, Fakt ist, dass das alles Unsinn ist, was uns da verkauft wird.“
Die Strategie, Menschen anhand ihrer eigenen Argumentation aufzuzeigen, dass sie sich selbst widersprechen, sorgt zwar nicht für Beziehungsaufbau und schon gar nicht dazu, dass die Person überzeugt wird. Aber sie diskreditiert die Glaubwürdigkeit und macht manche Leute mundtot.
Zum Abschluss noch zwei kurze Tipps:
Im direkten Gespräch können Sie auch einfach wiederholen, was jemand sagt. „Ok, du sagst also, das alles sei ein Test für eine wirklich Katastrophe und die – wer immer die ist – wollen testen, wie wir reagieren. Dazu wird eine Katastrophe kreiiert, die so ist wie eine echte Katastrophe…“ Wenn Menschen ihre Gedanken so wiederholt bekommen, können sie durchaus reagieren mit: „Stimmt, das klingt schon etwas komisch.“ Tja, und wenn Sie keine Zeit für komplizierte Argumentationen haben, hilft auch einfach zu sagen: „Das sehe ich anders, weil.“ Kombiniert mit: „Bleiben Sie gesund.“
Der zweite Tipp: Fragen Sie die Person permanent nach den von ihr akzeptierten Autoritäten. Zum Beispiel mit: „Du sagst, wir sollen den Experten und den Mainstreammedien nicht vertrauen. Wem aber sollen wir deiner Meinung nach vertrauen“. Hier ließe sich auch noch provokant anfügen: „Dem Bauchgefühl, wie Trump?“
Literatur:
Bednarz, Liane/Giesa, Christoph (2015). Gefährliche Bürger. Die neue Rechte greift nach der Mitte. München: Hanser.
Besand, Anja (2014). Gefühle über Gefühle. Zum Verhältnis von Rationalität und Emotionalität in der politischen Bildung. Zeitschrift für Politikwissenschaft, 3, S. 373-383.
Boltanski, Luc/Thévenot, Laurent (2007). Über die Rechtfertigung. Eine Soziologie der kritischen Urteilskraft. Hamburg: Hamburger Verlags Edition.
Fodor, Eugene (2010). Power Motivation. In Schultheiss, Oliver/Brunstein, Joachim (Hg.). Implicit Motives. Oxford: Oxford University Press. S. 3-29.
Gorman, Sara / Gorman, Jack (2017). Denying to the grave. Why we ignore facts, that will save us, New York: Oxford University Press
Grevenstein, Dennis/Aguilar-Raab, Corina/Bluemke, Matthias (2018). Mindful and Resilient? Incremental Validity of Sense of Coherence Over Mindfulness and Big Five Personality Factors for Quality of Life Outcomes. Journal of Happiness Studies, 7, S. 1883-1902.
Habermas, Jürgen (2014). Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates. Frankfurt am Main: Suhrkamp Wissenschaft.
Heidegger, Martin (2006). Sein und Zeit. Tübingen: Max Niemeyer Verlag.
Müller, Jan-Werner (2016). Was ist Populismus? Ein Essay.
Pörksen, Bernhard (2019). Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung. München: Carl Hanser Verlag.
Reckwitz, Andreas (2018). Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne. Berlin: Edition Suhrkamp.
Schaeffer, Ute (2018). Fake statt Fakt. Wie Populisten, Bots und Trolle unsere Demokratie angreifen. München: dtv Verlagsgesellschaft.
Skudlarek, Jan (2019). Wahrheit und Verschwörung, wie wir erkennen, was echt und wirklich ist, Ditzingen: Reclam