Die gesellschaftlichen Folgen der Coronakrise
Durch die Coronakrise wird die beschleunigte Gesellschaft zum Innehalten gezwungen und die ohnehin prekäre Solidarität auf eine harte Probe gestellt. Die Gesellschaft wird sich schon deshalb verändern, weil Gesellschaftlichkeit im eigentlichen Sinne, nämlich die Zusammenkunft unterschiedlicher Menschen, strukturell auf unabsehbare Zeit unmöglich sein wird. Die Gesellschaft selbst wird nach dieser Krise wieder nationaler gedacht und verfasst werden, und die Nachbarschaft eine ganz neue Bedeutung und einen anderen Stellenwert haben. Soziale Unterschiede werden sich in der Krise reduzieren, aber danach wieder verschärfen, weshalb die zentrale Aufgabe ist, die entstehende organische Solidarität zu bewahren.
Die Coronakrise als Herausforderung für Gesellschaftlichkeit an sich
Eine Gesellschaft ist wesentlich durch geteilte Normen und Werte (Haidt: 2012), Mitgliedschaften zud Zugehörigkeit (Walzer: 2006), gegenseitige Kommunikation (Luhmann: 1994) und gemeinsames Handeln (Rousseau: 2010) geprägt. All diese Dinge haben bis jetzt wesentlich in Gesellschaft, das heißt realen physischen Versammlungen stattgefunden. Ob Wahlen, Demonstrationen, Feiern, Karneval, Parlamentarismus, Festivals oder viele andere Formate: Gesellschaft wurde dort konkret, wo Menschen sich physisch versammelt haben. Dies wiederum ist jetzt jedoch, im Kontext der Pandemie, temporär nicht oder nur höchst eingeschränkt möglich, was für jede Gesellschaft eine Bedrohung voraussetzt. Denn Gesellschaftlichkeit ist Voraussetzung einer Gesellschaft, ebenso ein gemeinsames Verbundenheitsgefühl (Durkheim: 1977) und eine Akzeptanz von bestimmten Handlungen und Entscheidungen (Boltanski/Thèvenot: 2007). Alle drei Grundvoraussetzungen sind jetzt, in Zeiten der Coronakrise, immer weniger gegeben, weshalb das Zusammengehörigkeitsgefühl schwinden kann und dann Menschen immer stärker egoistisch und vor allem egozentrisch handeln (vgl. Kock/Kutzner: 2018). Ein beredtes Beispiel hierfür sind die sprunghaft angestiegenen Waffenverkäufe in den USA, aber auch der Diebstahl von Atemschutzmasken und Desinfektionsmitteln aus Krankenhäusern.
Vorübergehende Umkehrung vorheriger gesellschaftlicher Entwicklungstendenzen innerhalb der Coronakrise
Eine Gesellschaft ist grundsätzlich immer im Wandel begriffen. Die letzten Jahrzehnte haben jedoch eine deutliche Beschleunigung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse hervorgebracht (Rosa: 2012). Fast all diese Veränderungen werden sich jetzt jedoch, im Kontext der Krise, verändern und teilweise umkehren, und zwar umso stärker, je länger die Krise andauert.
Unsere Gesellschaft ist insbesondere im Laufe des 20. Jahrhunderts immer individualistischer geworden, insbesondere in westlichen Kulturen (Rosa: 2005). Diese Individualisierung, welche eine tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung darstellt, hat viele Ursachen. Ganz wesentlich ist hierbei allerdings das Streben nach Selbstverwirklichung (Mutz/Kämpfer: 2013). Diese Idee, die wesentlich von Abraham Maslow propagiert wurde und die an der Spitze seiner berühmten Bedürfnispyramide steht, hieß und heißt ja, dass man sich erst einmal auf sich selbst und die eigenen Wünsche und Bedürfnisse besinnen soll. Man muss sich selbst kennen, um sich selbst verwirklichen zu können. Und der Imperativ der Selbstverwirklichung heißt, dass die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse grundsätzlich als legitim angesehen wird. In individualistisch verfassten, modernen Gesellschaften ist dies so. In vormodernen Gesellschaften ging es jedoch viel stärker darum, Erwartungen zu erfüllen, Rollen auszufüllen und Traditionen zu achten (Habermas 1973:32). Überspitzt formuliert: Weder innerhalb des preußischen Obrigkeitsstaates noch auf dem Land in Bayern war Selbstverwirklichung überhaupt vorgesehen. Und für viele ältere Menschen ist auch heute noch die Pflichterfüllung viel relevanter als irgendeine Form der Selbstverwirklichung (Inglehart: 1989). Nur: In der Coronakrise sind zentrale Aspekte der Selbstverwirklichung schlicht unmöglich und verboten, denn sehr häufig ist Selbstverwirklichung nur gemeinsam mit anderen möglich.
Die Gesellschaft ist auch, jedenfalls zu immer größeren Anteilen, internationaler und sogar globaler geworden. Gerade innerhalb Europas hat tatsächlich eine immer stärkere Integration stattgefunden (Habermas: 2011), bei der Billigflieger und das Erasmus-Bildungsprogramm eine entscheidende Rolle gespielt haben. Die Idee einer Weltgesellschaft, einer tatsächlichen Kosmopolis (Ash: 2016), sie hat insbesondere nach dem Zusammenbruch des Ostblocks (Priestland: 2009) an Aktualität und lebensweltlicher Relevanz gewonnen. Auch politisch haben globale Organisationen, hat der Multilateralismus als ordnendes Prinzip deutlich an Bedeutung hinzugewonnen (Heyne: 2015), was auch die Gesellschaften zunehmend transnationalisiert hat. Dieser Prozess der gesellschaftlichen Globalisierung hat mit der Wahl Donald Trumps und anderer autoritärer Herrscher einen ersten Einbruch erlitten (Browning: 2018; Geiselberger: 2017). Jetzt aber, in Zeiten der Coronakrise, werden wir eine gesellschaftliche Deglobalisierung ersten Ranges erleben. Die Grenzschließungen, Einreise- und Ausreiseverbote sowie die Fokussierung auf die jeweils eigenen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger wird dafür sorgen, dass die gelebte, praktizierte, alltägliche Diversität weniger werden wird (vgl. Kühlmann: 2013). An dieser durch die Coronakrise bedingten Renationalisierung der Gesellschaft werden nicht wenige festhalten wollen (Koppetsch: 2019). Natürlich werden jetzt Videokonferenzen, virtuelle Teams und Zusammenarbeit auch nach wie vor international wie global möglich sein. Für die gesellschaftliche Integration ist jedoch Alltag und regelmäßige Interaktion unabdingbar.
Unsere Gesellschaften sind jedoch nicht nur individualistischer und internationaler geworden, sondern sie sind zunehmend zu Gesellschaften der Singularitäten geworden (Reckwitz: 2018). Das heißt, Menschen wollen zunehmend nicht mehr nur individuell sein, sondern besonders, einzigartig. Um dies tun zu können, ist es wichtig, sich von anderen zu unterscheiden. Das Bedürfnis danach, sich von anderen abzuheben, nach Distinktion innerhalb einer Gesellschaft ist gestiegen (vgl. Koppetsch: 2015; Bourdieu: 2007). In der Coronakrise ist es jedoch sehr schwer, sich als einzigartig zu empfinden und von anderen zu unterscheiden, denn es sitzen tatsächlich alle im gleichen Boot bzw. zu Hause. Die Zurschaustellung des eigenen Lebens wie ein Kunstwerk mittels der sozialen Netzwerke, wie es gerade in den letzten Jahren geschah (Reckwitz: 2018; Schroer: 2014), wird kaum noch möglich sein, da die Unterschiede daheim nicht so groß sind wie außerhalb. Genauso zu sein wie andere, sich nicht zu unterscheiden und einfach ganz normal betroffen zu sein von der Krise, wird für viele Menschen eine interessante, für manche auch durchaus verstörende Erfahrung sein, da sie mit ihrem bisherigen Selbstbild, etwas Besonderes zu sein, kontrastiert.Zusammengefasst wird die Gesellschaft zunächst weniger individualistisch, weniger global und Menschen werden sich vorübergehend als gleich betroffen und nicht als etwas Besonderes empfinden. Diese Erfahrung wird insbesondere für die zunehmende Zahl Narzisstinnen und Narzissten schmerzhaft (Wardetzki: 2018)
Die Coronakrise und die soziale Ungleichheit
In der Krise gibt es insgesamt betrachtet enorme Verluste für alle. Diese werden sich jedoch unterschiedlich verteilen. Durch die multiplen Börsencrashs seit Beginn der Coronakrise wird der globale Reichtum zwar weniger, aber durchaus etwas gleicher verteilt. Denn es sind durchaus Rettungsmaßnahmen wie das Kurzarbeitergeld angedacht und sinnvoll. Börsenverluste werden aber sicher nicht entschädigt werden, schon allein weil dies nicht darstellbar ist.
Jedoch wird die Krise nach Beendigung die soziale Ungleichheit noch verstärken. Denn Menschen und Familien, die bereits vorher über entsprechende finanzielle Rücklagen verfügten werden diese Krise unbeschadeter überstehen, insbesondere auch psychisch, da sie keine Existenznöte verspüren werden, was insbesondere psychische Belastungen senkt. Menschen, die über eine entsprechende soziale Herkunft, ein umfassendes kulturelles Kapital (also Wissen und Bildungsabschlüsse) verfügen (vgl. Salikutlic/Heyne: 2014; Bourdieu: 2007), werden auch hier deutlich besser durch die Krise kommen. Sollten sie arbeitslos werden, kommen sie leichter in neue Jobs. Vor allem aber geben Sie ihren Kindern mit hoher Wahrscheinlichkeit in dieser Phase des Homeschooling mehr Wissen mit. Für das Ideal der Chancengleichheit in Bildungswesen ist die Coronakrise fatal, da die Anregungsbedingungen der Elternhäuser für ihre Kinder unterschiedlich verteilt sind, und Bildungsunterschiede sich dann zuverlässig in soziale Unterschiede übersetzen.
Entscheidend wird sein, ob die getroffenen Maßnahmen innerhalb der Krise als gerecht erlebt werden. Denn wir Menschen sind nun einmal in hohem Maße Vergleichswesen (Grasseni/Origo: 2018; Haidt: 2012). Insbesondere dann, wenn die von der Krise am stärksten gebeutelten Personengruppen (wie die Beschäftigten im Hotel- und Gaststättengewerbe, die kleinen Selbständigen) am meisten profitieren, besteht die Chance, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt bewahrt bleibt (Walzer: 2006; Rawls: 1979). Es besteht jedoch eine viel größere Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Entscheiden unter Unsicherheit zu als ungerecht empfundenen Entscheidungen führt, was dann den sozialen Zusammenhalt schwächt und bis zu einem Zustand der Gesetzlosigkeit, der Anomie führen kann (Durkheim: 1977). Vor allem dadurch, dass das Eingesperrtsein gegen den Grundwert der persönlichen Freiheit verstößt (Haidt: 2012) und damit Reaktanz auslöst, können in Kombination mit gefühlter Ungerechtigkeit und materieller Verelendung oder (erwartbaren) Versorgungsengpässen sogar Aufstände und kollektive Gewaltakte die Folge der Coronakrise sein. Diese gilt es durch kluge Kommunikation, einen handlungsfähigen Staat und die Aufrechterhaltung von Gesellschaft auch ohne konkrete Geselligkeit und Gesellschaftlichkeit zu verhindern.
Abgeleitete Maßnahmen:
- Es muss deutlich werden, dass alle zurückstecken müssen, um das Gerechtigkeitsempfinden und damit die Solidarität zu wahren
- Es sollte auch kommunikativ deutlich werden, dass der Staat sich besonders um diejenigen in der Gesellschaft kümmert, die am stärksten von der Coronakrise getroffen sind
- Einschränkungen der Reisefreiheit sollten nur so lange aufrechterhalten bleiben wie es unbedingt notwendig ist
- Durch gemeinsame, in Gesellschaft vorgetragene Erzählungen, wie Menschen die Krise gemeistert haben, kann das Zusammengehörigkeitsgefühl, die organische Solidarität (Durkheim: 1977) gestärkt werden
- Nachbarschaftsnetzwerke, Quartiersmanagement und Begegnungszentren sollten gestärkt und ausgebaut werden, um Solidarität zu institutionalisieren, auch über die Krise hinaus.
- Sorgentelefone sollten zunehmend als Videokonferenzen organisiert werden, um zumindest etwas mehr menschliche Interaktion zu haben
- Nach der Krise sollte es besondere Förderprogramme für Kinder aus bildungsfernen Familien geben (affirmative action), um die entstandenen Bildungsunterschiede nicht zu groß werden zu lassen
- Die Zeitgemäßheit des Anspruches auf Singularität sollten alle kritisch reflektieren.
Literatur:
Ash, Timothy Garton (2016). Redefreiheit. Prinzipien für eine vernetzte Welt. München: Hanser.
Boltanski, Luc/Thévenot, Laurent (2007). Über die Rechtfertigung. Eine Soziologie der kritischen Urteilskraft. Hamburg: Hamburger Verlags Edition.
Bourdieu, Pierre (2007). Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp Wissenschaft.
Browning, Christopher (2018). Weimar in Washington: Die Totengräber der Demokratie. Blätter für deutsche und internationale Politik, 11, S. 41-50.
Durkheim, Emile (1977). Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften. Frankfurt am Main: Campus.
Geiselberger, Heinrich (2017). Die große Regression. Eine internationale Debatte über die geistige Situation der Zeit. Berlin: Edition Suhrkamp.
Grasseni, Mara/Origo, Federica (2018). Competing for Happiness: Attitudes to Competition, Positional Concerns and Wellbeing. Journal of Happiness Studies, 7, 1981-2008.
Habermas, Jürgen (2011). Zur Verfassung Europas. Ein Essay. Frankfurt am Main: Suhrkamp Wissenschaft.
Habermas, Jürgen (1973). Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp Wissenschaft.
Haidt, Jonathan (2012). The righteous mind. Why good people are divided by politics and religion. New York: Basic Books.
Heyne, Lea (2015). Globalisierung und Demokratie: Führt Denationalisierung zu einem Verlust an Demokratiequalität? In Merkel, Wolfgang (Hg.). Demokratie und Krise. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 277-306.
Inglehart, Ronald (1989). Kultureller Umbruch. Wertwandel in der westlichen Welt. Frankfurt am Main: Campus.
Kock, Klaus/Kutzner, Edelgard (2018). Arbeit als kollegiales Handeln – Praktiken von Solidarität und Konkurrenz am Arbeitsplatz. Industrielle Beziehungen, 4, S. 446-468.
Koppetsch, Cornelia (2019). Die Gesellschaft des Zorns. Bielefeld: transcript.
Koppetsch, Cornelia (2015). Die Wiederkehr der Konformität. Streifzüge durch die gefährdete Mitte. Frankfurt am Main: Campus.
Kühlmann, Torsten (2013). Internationaler Personaleinsatz. In Schuler, Heinz/Kanning, Uwe-Peter (Hg.). Lehrbuch der Personalpsychologie. Göttingen: Hogrefe. S. 847-888.
Luhmann, Niklas (1994). Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp Wissenschaft.
Mutz, Michael/Kämpfer, Sylvia (2013). Emotionen und Lebenszufriedenheit in der „Erlebnisgesellschaft“. Eine vergleichende Analyse von 23 europäischen Ländern im Anschluss an die Gesellschaftsdiagnose von Gerhard Schulze. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 64, S. 253-274.
Priestland, David (2009). Weltgeschichte des Kommunismus. Von der Französischen Revolution bis Heute. München: Siedler.
Rawls, John (1979). Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp Wissenschaft.
Reckwitz, Andreas (2018). Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne. Berlin: Suhrkamp Verlag.
Rosa, Hartmut (2012). Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung. Umrisse einer neuen Gesellschaftskritik. Frankfurt am Main: Suhrkamp Wissenschaft.
Rosa, Hartmut (2005). Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstruktur in der Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp Wissenschaft.
Rousseau, Jean-Jacques (2010). Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechtes. Stuttgart: Reclam.
Salikutluc, Zerrin/Heyne, Stefanie (2014). Wer ist tatsächlich benachteiligt? Die Wirkung traditioneller Geschlechterrollen auf schulische Leistungen und elterliche Aspirationen in deutschen und türkischen Familien. Zeitschrift für Soziologie, 4, S. 421-440.
Schroer, Markus (2014). Soziologie der Aufmerksamkeit. Grundlegende Überlegungen zu einem Theorieprogramm: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 66, S. 193-218.
Walzer, Michael (2006). Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit. Frankfurt am Main: Campus.
Wardetzki, Bärbel (2018). Narzissmus, Verführung und Macht. München: Goldmann.
Die ökonomischen Folgen der Coronakrise
Einleitung: Die Coronakrise als gleichzeitiger Einbruch der Angebots- und Nachfrageseite
Die Coronakrise stellt eine tiefgreifende ökonomische Krise dar, welche die Folgen der Weltwirtschaftskrise 2008ff. deutlich übertreffen wird. Sie ist gekennzeichnet dadurch, dass simultan sowohl das Angebot als auch die Nachfrage insgesamt drastisch zurückgehen wird. Sie wird nicht nur kreative Zerstörung im Sinne Schumpeters, sondern auch viel destruktive Zerstörung schaffen und ein Wiederaufbauprogramm notwendig machen, welches von bis dahin weitgehend überschuldeten Staaten zu stemmen sein wird, welche die Krise massiv abfedern mussten. Jedoch werden einzelne Branchen und Betriebe auch profitieren, und zwar sehr stark, weil die Tendenz zu the-winner-takes-it-all Märkten voranschreitet. Und die Digitalisierung wird stark, aber ebenfalls ungleich vorangetrieben werden.
Coronakrise: Die viel beschworene VUKA-Welt live
In immer mehr ökonomischen Werken wird beschrieben, dass die heutige, postmoderne Wirtschaftswelt sich mit dem Akronym (jeder Buchstabe steht für ein Wort) VUKA beschreiben lässt. VUKA steht für Volatilität (starke Schwankungen), Unsicherheit, Komplexität (viele Elemente mit vielen Verbindungen und hoher Eigendynamik) und Ambiguität, das heißt Widersprüchlichkeit in der Informationslage (Preußig/Sichart: 2019; Rothlauf: 2014).
In der Coronakrise offenbart sich all dies in eklatantem Maße. Die Börse hatte rund um den Globus Ausschläge, also Volatilitäten, wie zuletzt bei der Weltwirtschaftskrise 1929. Viele Dinge, die geplant wurden, mussten und müssen jetzt abgesagt werden. Die Einnahmeverluste sind dramatisch eingebrochen, was eine so noch nicht gekannte Schwankung darstellt. Stand jetzt gibt es eine enorme Unsicherheit, wie lange die jetzige Situation andauert, was noch an Maßnahmen alles kommen wird und wie die Beschäftigten und die Unternehmen betroffen sind. Die Komplexität der Situation zeigt sich allein daraus, dass aus einer globalen Pandemie eine globale Weltwirtschaftskrise wurde, bei der viele Maßnahmen auch ungeahnte Fern- und Nebenwirkungen haben (Dörner: 2010). Die Grenzschließungen beeinflussen Lieferketten. Hamsterkäufe ziehen weitere Hamsterkäufe nach sich und schon jetzt gerät die digitale Infrastruktur an ihre Grenzen, da niemand davon ausging, dass ganze Länder und Volkswirtschaften einmal gleichzeitig Home-Office machen würden. Zudem ist mit widersprüchlichen Informationen umzugehen (vgl. Boltanski/Chiapello: 2006). Erschien die Situation vor einer Woche noch beherrschbar, so ist jetzt schon ein Ausnahmezustand, der mit Ausgangssperren noch verschärft wird. Die vielen verschiedenen Prognosen wagen sehr widersprüchliche Szenarien. All dies überfordert viele Menschen, vor allem ihr Bedürfnis nach Klarheit und gedanklicher Sicherheit (vgl. Haidt: 2012).
Wen trifft die Krise am härtesten?
Die Krise trifft all diejenigen besonders, deren Geschäftsmodell auf der physischen Präsenz anderer Menschen beruht. Dies ist zunächst erst einmal das Hotel- und Gaststättengewerbe, welches am unmittelbarsten von Ausgangssperren bedroht ist. Künstlerinnen und Künstler, Weiterbildungsanbieter, die verschiedensten Dienstleister, aber auch der Einzelhandel, der keinen Online-Versand hat oder als systemrelevant angesehen wird, steht vor massiven Problemen. Alle Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter sowie Menschen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen (vgl. Siebenhüter: 2014; Lorey: 2013) werden nicht einfach nur Kurzarbeitergeld bekommen, sondern möglicherweise komplett ihr Arbeitseinkommen verlieren und sehr schnell auf die sozialen Sicherungssysteme angewiesen sein.
Kleine Betriebe ohne hohe Eigenkapitaldecke, die besonders von der Insolvenz bedroht sind, landwirtschaftliche Betriebe, die zum einen auf Arbeitskräfte aber auch auf die jetzt eigentlich erfolgenden Ernten angewiesen sind sowie diverse Zuliefererbetriebe, die jetzt unter den Sparmaßnahmen ihrer Hauptauftraggeber leiden, sowie vor allem deren Beschäftigte, werden besonders stark von der stärksten Wirtschaftskrise seit 1929 getroffen werden. Ihnen muss besonders geholfen werden, denn sie können nichts dafür, dass diese Krise sich so dermaßen ausgebreitet hat.
Das mikro- und makroökonomische Problem der Rationalitätenfalle in der Krise
In der jetzigen Krise sind viele Menschen verunsichert, oft auch pessimistisch und verängstigt. Dafür gibt es objektiv sehr gute Gründe angesichts der tiefgreifenden Wirtschaftskrise, die jetzt noch an ihrem Anfang steht. Eine grundlegende menschliche Tendenz ist dann die, auf bewährtes Verhalten zurückzugreifen sowie die eigenen Ressourcen zu sichern. Ökonomisch gesprochen heißt das: es wird gespart. Und zwar so richtig. Denn es gilt, das Geld zusammenzuhalten, um nicht in die Insolvenz zu rutschen oder Vermögensverluste zu begrenzen. Dieses Verhalten ist individuell total rational. Volkswirtschaftlich gesehen sieht dies jedoch anders aus, denn das individuelle Sparen sorgt für kollektive Umsatzeinbrüche, was dann natürlich weitere Sparmaßnahmen, Massenentlassungen der Unternehmen etc. nach sich zieht. Die Rationalitätenfalle als Konzept (Krell 2019: 15) besagt also: was individuell rational ist, kann bei hinreichend großer Anzahl kollektiv irrational sein. Genau deshalb ist es richtig, dass jetzt die nationalen Regierungen und die Europäische Zentralbank umfangreiche Programme auflegen, um diese dramatischen Nachfrageeinbrüche zumindest abzupuffern und Liquidität zu sichern. Das Problem ist allerdings auch: Spätestens, wenn es Ausgangssperren gibt, ist es auch gar nicht mehr so leicht, überhaupt Geld auszugeben. Denn nicht jedes Produkt und schon gar nicht jede Dienstleistung ist online realisierbar.
Es wird also darauf ankommen, dass Menschen wieder investieren und konsumieren, sobald das Schlimmste überstanden ist. Dafür ist es, trotz aller Verunsicherung, wichtig, dann Optimismus auszustrahlen. Allerdings wird sich auch vieles an Investitionen und Dienstleistungen schlicht aufgestaut haben und nur darauf warten, dann endlich wieder realisiert zu werden.
Sunk costs als zukünftiges Investitionshemmnis
Die Coronakrise und ihre Schwere war nicht einmal im Ansatz vorhersehbar. Es sind viele Investitionen jetzt getätigt worden, die entweder nicht beendet werden können, die nicht realisiert werden können oder nicht im Ansatz amortisiert werden können. Ob eine geplante Hochzeit, eine Produktionserweiterung, eine Baustelle, die pausieren muss oder auch eine Weiterbildung, bei der die erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten in nächster Zeit nicht angewandt werden können: es sind jetzt ganz viele Gelder und Investitionen getätigt werden, die keinen Effekt hatten oder umsonst waren. Diese werden als sunk costs in die Ökonomie bezeichnet (Weibler 2010: 73). Das Problem ist nun allerdings erstens, dass die hier versunkenen Gelder schlicht für Post-Krisen-Investitionen fehlen, und zweitens, dass die Erfahrung dieser verschenkten Investitionen wiederum Menschen auch von sinnvollen Investitionen nach der Krise abhalten kann, was den Wiederaufbau verlangsamen wird. Genau deshalb sollte ein Teil der jetzigen liquiden und investiven Mittel auch für die Zeit nach der Krise aufbewahrt werden. Sie werden dringend benötigt werden, da vieles brach liegen wird und erst reaktiviert werden muss. Hier sind dann insbesondere die Zentralbanken in besonderem Maße in der Pflicht zu handeln.
Warum Engpässen und Produktionsausfälle wahrscheinlich sind
Die Globalisierung war wesentlich eine ökonomische Globalisierung. Eine immer stärker verflochtene internationale Arbeitsteilung, die aufgrund gesunkener Transaktions- und Logistikkosten sich entwickelt hat und in Europa insbesondere vom Schengenraum ohne Grenzkontrollen profitiert hat. Besonders teure oder spezielle Güter wurden oft per Luftfracht transportiert.
All dies setzt offene Grenzen und tatsächlich operierende Logistik wie Flüge und LKW voraus. Zwar sollen die Grenzen für Menschen geschlossen werden, für Waren jedoch nicht. Solange aber das autonome Fahren noch in den Kinderschuhen steckt, ist diese Aufteilung künstlich, da es ja immer noch Fahrerinnen und Fahrer, Kapitäninnen und Kapitäne, Pilotinnen und Piloten sind.
Vor allem aber hat sich im Zuge der internationalen Arbeitsteilung und aufgrund des intensiven Wettbewerbsdrucks zunehmend eine just-in-Time oder sogar just-in-process-Produktion etabliert, bei der benötigte Teile genau passend geliefert werden sollen, um teure Lagerkapazitäten und somit vermeintlich unnötige Kosten zu vermeiden. Dies rächt sich nun, da just-in-time extrem störanfällig ist (Yogeshwar 2017: 26f; Glassner/Pernicka/Dittmar 206: 266f) und schon kleine Ausfälle komplexe Lieferketten zum Erlahmen bringen können. Dies wiederum kann zu Produktions- und Lieferausfällen und somit für weitere Umsatzeinbußen und Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit führen.
Corona und das Fixkostenproblem
Jeder Mensch und jeder Betrieb hat bestimmte, nicht oder nicht kurzfristig abänderbare Fixkosten. Die wichtigsten Fixkosten sind für viele Menschen schlicht die Miete, und gerade in den Städten sind diese ja in den letzten Jahren enorm gestiegen. Ebenso sind Versicherungsbeiträge, laufende Kredite, bestimmte Abonnements und weitere laufende Kosten eben Fixkosten. Für die Unternehmen sind neben den in den Anlagen steckenden Kosten auch die Gehälter zunächst einmal und völlig zurecht überwiegend Fixkosten. Denn in einer sozialen Marktwirtschaft sollte das unbefristete Normalarbeitsverhältnis der Standard sein.
Diese Kosten laufen ja jetzt erst einmal für alle weiter, obgleich gerade bei den Unternehmen, insbesondere bei Freiberuflern und Selbständigen die Umsatzeinbrüche teils dramatisch sind und nicht selten in den kommenden Wochen (und schlimmstenfalls Monaten) schlicht auf Null gehen. Genau deshalb ist es so wichtig, dass in den jetzt vereinbarten Hilfsprogrammen nicht einfach nur Kredite, sondern auch Liquiditätshilfen drin sind. Eine Insolvenzwelle wird sich nicht vermeiden, aber sehr wohl doch begrenzen lassen. Denn das Problem bei den Fixkosten und den daraus resultierenden Insolvenzen ist, dass neben diesen tragischen persönlichen Schicksalen diese immer auch Zahlungsausfälle nach sich ziehen werden, die dann die Realwirtschaft immer weiter belasten. Genau deshalb ist auch die unbürokratische Möglichkeit der Steuerstundungen und der Verzicht auf Vollzugsmaßnahmen seitens der Finanzämter bis Ende 2020 absolut folgerichtig. Denn eigentlich sind Steuern Fixkosten, und so können sie zumindest in Teilen zu variablen Kosten werden und damit Liquidität ermöglichen und Insolvenzen verhindern.
Millionenfache Dequalifizierung als volkswirtschaftliches Problem
Die deutsche Volkswirtschaft ist hoch entwickelt und sehr produktiv. Immer mehr Wertschöpfung ist sehr wissensintensiv (Malik: 2011). Und allen Weiterbildungen und Trainingsmaßnahmen zum Job ist das einfache Tun, das training-on-the-job, der beste Weg, Fähigkeiten und Kompetenzen zu erhalten und auszubauen (Schaper: 2019). Menschen, die komplexe Fertigungsanlagen bedienen, mit Programmen arbeiten, welche nur innerhalb der Firma, aber nicht im Home-Office verfügbar sind, die direkt mit anderen Menschen arbeiten und das in einer Form, die nicht wirklich durch Videokonferenzen ersetzbar sind, werden in dieser Zeit eine Dequalifizierung erleben. Millionen von Fachkräften werden durch die viele Zeit mit ihren Kindern enorme pädagogische und didaktische Kompetenzen erlernen. Ihr berufliches Wissen allerdings wird dadurch in Teilen verblassen und dadurch viel an Wertschöpfung, die es ohne die Coronakrise gegeben hätte, schlicht nicht geben. Dies bezeichnet man als Opportunitätskosten (Young/Beckman/Baker: 2012). Diese werden immens sein und einer der Hauptgründe der globalen Wohlstandsminderung. Je entwickelter, produktiver, arbeitsteiliger und wissensintensiver eine Volkswirtschaft ist, umso gravierender wirkt sich die Zeit aus, die wir nicht mit unserer eigentlichen Arbeit befasst sind. Nicht umsonst haben junge Mütter in qualifizierten Jobs und Führungspositionen zunehmend Schwierigkeiten, wieder in den Job einzusteigen (was aber natürlich auch mit antiquierten Rollenbildern, Führungsstilen und teils schlicht mangelnder Flexibilität zu tun hat). Hier gilt es daher jetzt, möglichst auch im Home-Office tatsächlich wertschöpfende Tätigkeiten vollführen zu können und auch im Vergleich zum Büro möglichst arbeitsfähig zu sein.
Die Coronakrise als unglaubliche unfreiwillige Digitalisierung
Natürlich birgt die Krise auch Chancen, und zwar insbesondere für die Digitalisierung. Hier hat Deutschland ja gerade im europäischen Vergleich tatsächlich Nachholbedarf (Cornelius: 2019). Das Home-Office, welches teils schon wieder auf dem Rückzug begriffen war (Kock/Kutzner 2018: 446-488), wird jetzt millionenfach Realität. Menschen werden Videokonferenzen und vernetztes Arbeiten als training-on-the-job erlernen. Webinare erleben eine ungeahnte Konjunktur und die Organisationen, die schon vor der Krise in gut gepflegte Wissensmanagementsysteme investiert haben, werden jetzt besonders produktiv sein. Nachdem dann an vielen Stellen Menschen gemerkt haben werden, dass auch diese Form der Arbeit möglich und nicht selten sinnvoll ist, wird zumindest in Teilen die Präsenzkultur überdacht werden und die Digitalisierung deutlich vorangeschritten sein. Bei den einzelnen Beschäftigten, den Unternehmen, aber auch den Verwaltungen. Dies wird nach der Krise anhalten und die Produktivität und das selbstbestimmte Arbeiten insgesamt erhöhen.
Weitere ökonomische Chancen durch die Coronakrise
Nach der Krise wird es viel nachholende Konsumtion geben. Diejenigen, die Geld haben und auf vieles verzichten mussten, insbesondere durch Ausgangssperren, werden reisen, konsumieren und die Annehmlichkeiten des Lebens genießen wollen. Davon werden diejenigen profitieren, die diese Krise überlebt haben. Die Maschinenbauer werden, nachdem vieles nicht produziert worden ist, dann einen besonderen Absatz haben, ebenso das Gesundheitswesen. Wer nach dem Ende der Krise an den Börsen einsteigt, wird schon aufgrund von Erholungseffekten Kursgewinne einfahren, insbesondere wenn es in der Coronakrise tatsächlich zur klassischen V-Kurve an den Finanzmärkten kommt. Jedoch werden deutlich weniger Menschen überhaupt die Möglichkeit haben, dann einzusteigen. Der gesamte Bereich der Gesundheitswirtschaft wird notwendigerweise profitieren, da sehr viele Menschen auf Gesundheitsleistungen angewiesen sind und allein schon für die Prävention künftiger Pandemien sehr viele Mittel aufgewendet werden. Ebenso werden alle Anwendungsbereiche der Künstlichen Intelligenz, welche datengetrieben Geschäftsmodelle betreiben, entdecken und weiterentwickeln, in hohem Maße profitieren. Jedoch wird die Zahl der Personen, Betriebe und Branchen, die profitieren, verschwindend gering sein im Vergleich zu den vielen Insolvenzen, Privatinsolvenzen und erzwungenen Arbeitslosigkeiten.
The-winner-takes-it-all-Märkte vs. Wirtschaftswunder 2.0
Natürlich wird sich die Ökonomie irgendwann erholen. Wann und wie stark, ist jedoch nicht nicht absehbar. Und es wird vor allem keine gleichwertige Erholung sein, von der alle zumindest halbwegs profitieren, wie es beim so genannten „Wirtschaftswunder“ (Herrmann: 2020; Ther: 2019) der Fall war. Denn damals stieg tatsächlich simultan die Produktivität und die Massenkaufkraft. Die Analogie ist hier, dass es eine Zeit der ökonomischen und konsumtiven Zurückhaltung bis zu einem bestimmten Punkt gab, nämlich der Währungsreform, was hier das Ende der Krise sein wird. Das Problem ist nur, dass wir es damals mit sehr regionalen Märkten und kaum ersetzbaren Produkten zu tun haben. Durch die Globalisierung und insbesondere die Digitalisierung, welche ja durch die Coronakrise intensiviert werden wird, haben sich Märkte immer stärker in „the winner-takes-it-all-Märkte“ transformiert (Kirchner: 2019; Lutter: 2013). Das bedeutet, dass die Besten, Schnellsten, Günstigsten und/oder Effektivsten Unternehmen die meisten Gewinne abschöpfen werden, während für den zweiten und dritten Anbieter kaum etwas übrig bleibt. Denn Online ist ja mittlerweile alles verfügbar, und warum soll man sich mit weniger als dem Marktführer zufrieden geben? Jedenfalls ist das die Logik, der immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten folgen (vgl. Reckwitz: 2018). Das aber bedeutet dann zwangsläufig, dass die Gewinne des Aufschwungs sehr ungleich verteilt sein werden (Piketty: 2014), was für die soziale Stabilität der Gesellschaft erhebliche Nachteile mit sich bringen wird.
Abgeleitete Maßnahmen
- Alle bisher getroffenen Rettungsmaßnahmen sind richtig und müssen ggf. noch erweitert werden
- Die Steuerstundungen sowie der Verzicht auf mögliche Vollstreckungsmaßnahmen bis Ende 2020 sind richtig. Je nach Krisenverlauf sollten auch diese verlängert werden.
- Beschäftigungsverhältnisse sollten möglichst beibehalten werden, um Menschen nicht in Existenznöte zu stärken und Wissen und Erfahrungen in den Unternehmen zu halten.
- Es sollten nicht nur Kredite, sondern direkte Liquiditätshilfen ausgegeben werden
- Weiterbildungsangebote für das Home-Office wie Massive Open Online Courses und Webinare sollten bereitgestellt und ggf. gefördert werden
- Kurzfristige Arbeitsplatzverlagerungen in die Bereiche, in denen jetzt besonders Arbeitskräfte gebraucht werden (Einzelhandel, Logistik etc) sollen unbürokratisch ermöglicht und ggf. gefördert werden.
- Es sollten investive Mittel für die Zeit nach der Krise bereitgehalten werden, um den Wirtschaftsaufschwung zu stimulieren. Es wird einen europäischen Marshallplan brauchen.
Literatur
Boltanski,Luc/Chiapello, Eve (2006). Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz: UVK Verlag.
Cornelius, Andrea (2019). Künstliche Intelligenz. Entwicklungen, Erfolgsfaktoren und Einsatzmöglichkeiten. Freiburg: Haufe.
Dörner, Dietrich (2010). Die Logik des Misslingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen. Hamburg. Rowohlt.
Glassner, Vera/Pernicka, Susanne/Dittmar, Nele (2016). „Arbeit am Konflikt“ – Eine Fallstudie zum Europäischen Betriebsrat von General Motors. WSI Mitteilungen, 4, S. 264-272.
Haidt, Jonathan (2012). The righteous mind. Why good people are divided by politics and religion. New York: Basic Books.
Herrmann, Ulrike (2020). Mythos Erhard: Die Legende vom deutschen Wirtschaftswunder. Blätter für deutsche und internationale Politik, 1, S. 86.99.
Kirchner, Moritz (2019). Der neueste Geist des Kapitalismus. Potsdam: Potsdamer Universitäts Verlag.
Kock, Klaus/Kutzner, Edelgard (2018). Arbeit als kollegiales Handeln – Praktiken von Solidarität und Konkurrenz am Arbeitsplatz. Industrielle Beziehungen, 4, S. 446-468.
Krell, Gerd (2019). Weltordnung oder Weltunordnung. Theoretische Leitperspektiven in den Internationalen Beziehungen. Zeitschrift für Politik, 1, S. 4-33.
Lorey, Isabell (2013). Das Regime der Prekarisierung. Europas Politik mit Schuld und Schulen. Blätter für deutsche und internationale Politik, 6, S. 91-100.
Lutter, Mark (2013). Strukturen ungleichen Erfolgs. Winner-take-all-Konzentrationen und ihre sozialen Entstehungskontexte auf flexiblen Arbeitsmärkten. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 65, S. 597-622.
Malik, Fredmund (2011). Strategie. Navigieren in der Komplexität der neuen Welt. Frankfurt am Main: Campus.
Piketty, Thomas (2014). Capital in the 21st century. London: Harvard University Press.
Preußig, Jörg/Sichart, Silke (2019). Agiles Führen. Aktuelle Methoden für moderne Führungskräfte. Freiburg: Haufe.
Reckwitz, Andreas (2018). Die Gesellschaft der Singularitäten. Berlin: Edition Suhrkamp.
Rothlauf, Jürgen (2014). Total Quality Management in Theorie und Praxis. München: Oldenbourg.
Schaper, Nicolas (2019). Aus- und Weiterbildung. Konzepte der Trainingsforschung. In Nerdinger, Friedemann/Blickle, Gerhard/Schaper, Nicolas (Hg.). Arbeits- und Organisationspsychologie. Heidelberg: Springer Wissenschaft. S. 510-538
Siebenhüter, Sandra 82014). Der Betrieb als Projekthaus – Wie Werkverträge die Arbeitswelt verändern. WSI Mitteilungen, 3, S. 306-310.
Ther, Philipp (2019). Die deutsche Schocktherapie. Der deutsche Sonderweg und die Transformation Ostmitteleuropas. Blääter für deutsche und internationale Politik, 12, S. 85-96.
Weibler, Jürgen (2010). Unternehmensführung. Grundlagen der Unternehmensführung II. Hagen: FernUniversität in Hagen.
Yogeshwar, Rangar (2017). Nächste Ausfahrt Zukunft. Geschichten aus einer Welt im Wandel. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
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Die drei I oder: Als Team im Homeoffice – Tricks und Tipps
Psychosoziale Funktionen der Arbeit
Die Erwerbsarbeit dient nicht nur dazu, den Lebensunterhalt zu bestreiten und in die Gesellschaft integriert zu sein. Zur Arbeit gehören auch wichtige psychosoziale Funktionen, wie die Strukturierung der Zeit, soziale Anerkennung, das Erleben persönlicher Kompetenz, menschlicher Kontakt und auch die Etablierung einer persönlichen Identität (beispielhaft in dem Satz verdichtet: “ich bin [Beruf”. Diese psychosozialen Funktionen sind wichtig, und sollten möglichst auch im Home-Office erhalten bleiben, zum Beispiel durch Videokonferenzen und Tagesziele.
Bedeutung von Tagesstruktur
Die Tagesstruktur ist wichtig für ein funktionierendes Zeit- und Selbstmanagement sowie effektives Arbeiten. Hierzu gehört, sich feste Zeitblöcke für bestimmte Aufgaben zu suchen und gerade bei komplexen Aufgaben auch möglichst ungestört zu arbeiten. Ebenso sind wir Menschen in starkem Maße Gewohnheitstiere. Gewohnheiten geben Sicherheit und Halt, was in einer solchen Krisensituation wichtig ist. Mit Kindern erscheint dies schwierig, läßt sich aber trotzdem versuchen, denn auch Kindern hilft Struktur.
To do, to love und have done
Eine to-do-Liste ist ein guter und solider Anfang für das Arbeiten im Home-Office. Fest definierte Tagesaufgaben, am besten mit entsprechender Priorisierung (A= sehr wichtig, B= mittelmäßig wichtig C= nicht so wichtig) hilft bei der Selbststrukturierung. Jedoch sollte das Leben nicht nur aus einem Müssen bestehen, weshalb eine to-love Liste darunter sehr sinnvoll ist. Hier werden 2-3 Dinge notiert, die wir bewusst machen wollen und die schön sind. Am Ende des Tages eine have-Done-Liste macht Sinn, um den Leistungsstolz zu aktivieren und zu erleben, was man alles geschafft hat.
Sinnvoller Softwareeinsatz
Wichtig ist, dass die Software zu ihrem Team und ihren Bedürfnissen passt, von allen verstanden wird und am besten erst einmal an Übungsaufgaben getestet wird, bevor sie sich realen Aufgaben zuwenden. Ob Microsoft Teams, GoogleHangouts, Skype, Trello, Slack oder als Videokonferenzsoftware Zoom oder GotoWebinar ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, sich gemeinsam auf eine Software zu einigen, diese dann immer wieder zu nutzen (so genanntes training-on-the-job) sowie ihren Einsatz immer mal wieder zu reflektieren.
Rituale für Online-Meetings
Beim virtuellen Arbeiten sinkt der direkte Kontakt miteinander, das heißt die Beziehungen untereinander werden schwächer. Ein “Wie geht’s? Was machen die Kinder?” ist via Mail, Messenger oder auch in der Onlinekonferenz nicht so einfach wie in der Büroküche. Wir Menschen sind aber soziale Wesen und brauchen das.
Online-Meetings wiederum leiden darunter, dass
- die Ablenkungsgefahr sehr groß ist, weil alle das elektronische Gerät ja eh nutzen und da die nächste Mail aufblinkt
- der direkte Kontakt reduziert ist, selbst bei einer Videokonferenz
- Beiträge etwas zeitversetzt kommen
Was hilft? Rituale, Fokus, Abwechslung im Meeting, Beziehungspflege und Motivation.
Rituale klingt nach Gegenteil von Abwechslung? Nicht unbedingt. Wenn sie Rituale entwickeln wie Ankommen, Agenda, Themen, Schönes am Ende. Dann haben Sie eine kontinuierliche Struktur, die in sich Abwechslung verspricht. Fokus bedeutet, sich wirklich zu konzentrieren. Wie stellen Sie das sicher? Zum Beispiel beim Ankommen: Jede Person erzählt kurz, wie es ihr geht und welche Anwendungen sie ausgeschaltet hat, um jetzt voll beim Meeting zu sein. Im echten Meeting würden alle ihre Handys weglegen oder ausschalten, online sagen wir das eben.
Sie brauchen zudem Regeln für Redebeiträge: Haben sie eine Moderation, werden Redebeiträge per Handzeichen angekündigt und dann per Moderation zugewiesen?
Wie umgehen mit der Angst und dem Frust? Lassen Sie das Schöne nicht zu kurz kommen. Unser Gehirn ist schon eh sehr auf Krise fokussiert, helfen Sie sich und Ihrem Team da raus. Lassen Sie jede Person teilen, was schön ist, was sie gemeistert hat, welche Herausforderung toll ist. Das können Sie am Anfang beim Ankommen, in der Mitte machen und sie sollten etwas positives am Ende teilen lassen, damit sie sich gegenseitig motivieren.
Die Drei I sicherstellen: Informationsfluss und Inspiration und Ideen:
Warum gibt es eigentlich Büros und Treffen? Drei Gründe: Leute, die in einer Organisation zusammenarbeiten haben kürzere Wege und können so Informationen austauschen. Dabei arbeiten sie gemeinsam an Problemen, inspirieren sich und so kommt Ihre Organisation oder Unternehmen auf neue Ideen und Produkte. Dazu gehören aber auch die informellen Treffen: Die Büroküche, das Mittagessen und sich auf dem Flur begegnen.
Das fehlt im Homeoffice, dass sich die Buchhaltung mal zufällig mit dem Marketing trifft und dabei zufällig auffällt, das beide am selben Problem arbeiten und einer schon eine Lösung dafür hat.
Folge: Stellen Sie auch das sicher, dass sich Leute Abteilungsübergreifend treffen und austauschen. Wie? Drei Ideen: 1. Entweder indem eine Führungskraft vorgibt, wer mal mit wem spricht oder 2. Indem Sie das im Team bestimmen und 3. Sie sollten das Teil ihrer gemeinsamen Online Meetings machen: Neues von anderen.
Aufgaben für die Führungskraft
Es gibt viele Theorien und Modelle, welche die Aufgaben einer Führungskraft beschreiben und definieren. Wir halten das Führungsrad nach Malik für ein sehr gangbares Modell, welches als Aufgaben die Zielsetzung, die Organisation, das Entscheiden, die Kontrolle sowie die Förderung von Menschen definiert. Dies wiederum lässt sich realisieren, indem Tages- oder Wochenaufgaben definiert, Zuständigkeiten verteilt und deren Erfüllung auch entsprechend betrachtet wird. Die Führungskraft sollte ihre Entscheidungen transparent und klar kommunizieren und gerade in dieser Zeit gut überlegen, welche Weiterbildungen für die Mitarbeitenden gerade sehr sinnvoll sind. Gerade die Digitalkompetenzen lassen sich in dieser erzwungenen Präsenzpause stärken.
Aufgaben für Teammitglieder
Die wichtigste Aufgabe für Teammitglieder ist es, tatsächlich konzentriert dabei zu sein und sich kurz zu fassen und auf den Punkt zu kommen. Bestimmte Dinge, die gemeinsam besprochen werden können, sollten vorbereitet werden, um über konkrete Sachverhalte zu sprechen. Hierbei gilt natürlich, die Nettiquette zu bewahren, die auch real gilt.
Am Ende des Tages:
Werten Sie aus, was sie heute geschafft haben und schauen Sie, was morgen dran ist.
Es ist nicht schlimm, nicht alles zu schaffen; im Gegenteil, dadurch lernen wir.
Das heißt 3 Schritte:
- Rückschau
- Aufgaben aufschreiben
- Priorisieren für den nächsten Tag
Unser Tipp: Planen Sie auch etwas ein, worauf Sie sich freuen.
Sicher können wir reden
Rhetorik – das kann man oder nicht? Wer das glaubt wird selig – aber bleibt unter seinem Potential.
Lernen können wir immer, das zeigte sich auch hier: Von 33 bis 72 reichte das Alter der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Besser reden lernen, schlagfertig werden, geschickt kommunizieren – darum ging es im beim Workshop auf Schloss Mansfeld. Worum gings – hier ein Ausschnitt:
Umgang mit Polemik und Pöbelei in Pflegeeinrichtungen
Ein Ehemann verlangt, dass bei seiner Frau ein abgelaufener Katheter benutzt wird, um Geld zu sparen. Ein Angehöriger spricht verächtlich über das Pflegeteam. Wie reagieren?
Wir schulten Leitungskräfte aus Pflegeeinrichtungen im Umgang mit Polemik und Pöbelei. Mit den sieben Stufen der Schlagfertigkeit übten alle, in Kontroversen flexibel antworten zu können: Diplomatisch, witzig, mit klarer Kante oder auch einer Mischung aus allem. Wir übten Körpersprache, Gedankenschnelligkeit, den Umgang mit Selbstzweifeln; wie immer in einem Mix aus Coaching, kleinen Übungen, knappen Input und Rollenspielen.
Hier drei der vielen Tricks, die wir übten:
- Sichere Haltung mit positiven Gedanken
- Routinen haben für die gängigsten Angriffe
- Manchmal reicht ein: „Wie bitte?!“
Was wieder klar wurde: Pflege ist ein harter Job, der von vielem Menschen mit weichem Herz gemacht wird. Und diese Menschen werden auch mal angepöbelt oder angeschrien. Wir waren tief beeindruckt, dass wir Menschen kennen lernen durften, die trotz solcher Attacken mit Herzenswärme ihren Job weitermachen.