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Einleitung: Die Coronakrise als gleichzeitiger Einbruch der Angebots- und Nachfrageseite

Die Coro­na­kri­se stellt eine tief­grei­fen­de öko­no­mi­sche Kri­se dar, wel­che die Fol­gen der Welt­wirt­schafts­kri­se 2008ff. deut­lich über­tref­fen wird. Sie ist gekenn­zeich­net dadurch, dass simul­tan sowohl das Ange­bot als auch die Nach­fra­ge ins­ge­samt dras­tisch zurück­ge­hen wird. Sie wird nicht nur krea­ti­ve Zer­stö­rung im Sin­ne Schum­pe­ters, son­dern auch viel destruk­ti­ve Zer­stö­rung schaf­fen und ein Wie­der­auf­bau­pro­gramm not­wen­dig machen, wel­ches von bis dahin weit­ge­hend über­schul­de­ten Staa­ten zu stem­men sein wird, wel­che die Kri­se mas­siv abfe­dern muss­ten. Jedoch wer­den ein­zel­ne Bran­chen und Betrie­be auch pro­fi­tie­ren, und zwar sehr stark, weil die Ten­denz zu the-win­ner-takes-it-all Märk­ten vor­an­schrei­tet. Und die Digi­ta­li­sie­rung wird stark, aber eben­falls ungleich vor­an­ge­trie­ben wer­den.

Coronakrise: Die viel beschworene VUKA-Welt live

In immer mehr öko­no­mi­schen Wer­ken wird beschrie­ben, dass die heu­ti­ge, post­mo­der­ne Wirt­schafts­welt sich mit dem Akro­nym (jeder Buch­sta­be steht für ein Wort) VUKA beschrei­ben lässt. VUKA steht für Vola­ti­li­tät (star­ke Schwan­kun­gen), Unsi­cher­heit, Kom­ple­xi­tät (vie­le Ele­men­te mit vie­len Ver­bin­dun­gen und hoher Eigen­dy­na­mik) und Ambi­gui­tät, das heißt Wider­sprüch­lich­keit in der Infor­ma­ti­ons­la­ge (Preußig/Sichart: 2019; Roth­lauf: 2014).

In der Coro­na­kri­se offen­bart sich all dies in ekla­tan­tem Maße. Die Bör­se hat­te rund um den Glo­bus Aus­schlä­ge, also Vola­ti­li­tä­ten, wie zuletzt bei der Welt­wirt­schafts­kri­se 1929. Vie­le Din­ge, die geplant wur­den, muss­ten und müs­sen jetzt abge­sagt wer­den. Die Ein­nah­me­ver­lus­te sind dra­ma­tisch ein­ge­bro­chen, was eine so noch nicht gekann­te Schwan­kung dar­stellt. Stand jetzt gibt es eine enor­me Unsi­cher­heit, wie lan­ge die jet­zi­ge Situa­ti­on andau­ert, was noch an Maß­nah­men alles kom­men wird und wie die Beschäf­tig­ten und die Unter­neh­men betrof­fen sind. Die Kom­ple­xi­tät der Situa­ti­on zeigt sich allein dar­aus, dass aus einer glo­ba­len Pan­de­mie eine glo­ba­le Welt­wirt­schafts­kri­se wur­de, bei der vie­le Maß­nah­men auch unge­ahn­te Fern- und Neben­wir­kun­gen haben (Dör­ner: 2010). Die Grenz­schlie­ßun­gen beein­flus­sen Lie­fer­ket­ten. Hams­ter­käu­fe zie­hen wei­te­re Hams­ter­käu­fe nach sich und schon jetzt gerät die digi­ta­le Infra­struk­tur an ihre Gren­zen, da nie­mand davon aus­ging, dass gan­ze Län­der und Volks­wirt­schaf­ten ein­mal gleich­zei­tig Home-Office machen wür­den. Zudem ist mit wider­sprüch­li­chen Infor­ma­tio­nen umzu­ge­hen (vgl. Boltanski/Chiapello: 2006). Erschien die Situa­ti­on vor einer Woche noch beherrsch­bar, so ist jetzt schon ein Aus­nah­me­zu­stand, der mit Aus­gangs­sper­ren noch ver­schärft wird. Die vie­len ver­schie­de­nen Pro­gno­sen wagen sehr wider­sprüch­li­che Sze­na­ri­en. All dies über­for­dert vie­le Men­schen, vor allem ihr Bedürf­nis nach Klar­heit und gedank­li­cher Sicher­heit (vgl. Haidt: 2012).

Wen trifft die Krise am härtesten?

Die Kri­se trifft all die­je­ni­gen beson­ders, deren Geschäfts­mo­dell auf der phy­si­schen Prä­senz ande­rer Men­schen beruht. Dies ist zunächst erst ein­mal das Hotel- und Gast­stät­ten­ge­wer­be, wel­ches am unmit­tel­bars­ten von Aus­gangs­sper­ren bedroht ist. Künst­le­rin­nen und Künst­ler, Wei­ter­bil­dungs­an­bie­ter, die ver­schie­dens­ten Dienst­leis­ter, aber auch der Ein­zel­han­del, der kei­nen Online-Ver­sand hat oder als sys­tem­re­le­vant ange­se­hen wird, steht vor mas­si­ven Pro­ble­men. Alle Leih­ar­bei­te­rin­nen und Leih­ar­bei­ter sowie Men­schen in aty­pi­schen Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­sen (vgl. Sie­ben­hü­ter: 2014; Lorey: 2013) wer­den nicht ein­fach nur Kurz­ar­bei­ter­geld bekom­men, son­dern mög­li­cher­wei­se kom­plett ihr Arbeits­ein­kom­men ver­lie­ren und sehr schnell auf die sozia­len Siche­rungs­sys­te­me ange­wie­sen sein.

Klei­ne Betrie­be ohne hohe Eigen­ka­pi­tal­de­cke, die beson­ders von der Insol­venz bedroht sind, land­wirt­schaft­li­che Betrie­be, die zum einen auf Arbeits­kräf­te aber auch auf die jetzt eigent­lich erfol­gen­den Ern­ten ange­wie­sen sind sowie diver­se Zulie­fer­er­be­trie­be, die jetzt unter den Spar­maß­nah­men ihrer Haupt­auf­trag­ge­ber lei­den, sowie vor allem deren Beschäf­tig­te, wer­den beson­ders stark von der stärks­ten Wirt­schafts­kri­se seit 1929 getrof­fen wer­den. Ihnen muss beson­ders gehol­fen wer­den, denn sie kön­nen nichts dafür, dass die­se Kri­se sich so der­ma­ßen aus­ge­brei­tet hat.

Das mikro- und makroökonomische Problem der Rationalitätenfalle in der Krise

In der jet­zi­gen Kri­se sind vie­le Men­schen ver­un­si­chert, oft auch pes­si­mis­tisch und ver­ängs­tigt. Dafür gibt es objek­tiv sehr gute Grün­de ange­sichts der tief­grei­fen­den Wirt­schafts­kri­se, die jetzt noch an ihrem Anfang steht. Eine grund­le­gen­de mensch­li­che Ten­denz ist dann die, auf bewähr­tes Ver­hal­ten zurück­zu­grei­fen sowie die eige­nen Res­sour­cen zu sichern. Öko­no­misch gespro­chen heißt das: es wird gespart. Und zwar so rich­tig. Denn es gilt, das Geld zusam­men­zu­hal­ten, um nicht in die Insol­venz zu rut­schen oder Ver­mö­gens­ver­lus­te zu begren­zen. Die­ses Ver­hal­ten ist indi­vi­du­ell total ratio­nal. Volks­wirt­schaft­lich gese­hen sieht dies jedoch anders aus, denn das indi­vi­du­el­le Spa­ren sorgt für kol­lek­ti­ve Umsatz­ein­brü­che, was dann natür­lich wei­te­re Spar­maß­nah­men, Mas­sen­ent­las­sun­gen der Unter­neh­men etc. nach sich zieht. Die Ratio­na­li­tä­ten­fal­le als Kon­zept (Krell 2019: 15) besagt also: was indi­vi­du­ell ratio­nal ist, kann bei hin­rei­chend gro­ßer Anzahl kol­lek­tiv irra­tio­nal sein. Genau des­halb ist es rich­tig, dass jetzt die natio­na­len Regie­run­gen und die Euro­päi­sche Zen­tral­bank umfang­rei­che Pro­gram­me auf­le­gen, um die­se dra­ma­ti­schen Nach­fra­ge­ein­brü­che zumin­dest abzu­puf­fern und Liqui­di­tät zu sichern. Das Pro­blem ist aller­dings auch: Spä­tes­tens, wenn es Aus­gangs­sper­ren gibt, ist es auch gar nicht mehr so leicht, über­haupt Geld aus­zu­ge­ben. Denn nicht jedes Pro­dukt und schon gar nicht jede Dienst­leis­tung ist online rea­li­sier­bar.

Es wird also dar­auf ankom­men, dass Men­schen wie­der inves­tie­ren und kon­su­mie­ren, sobald das Schlimms­te über­stan­den ist. Dafür ist es, trotz aller Ver­un­si­che­rung, wich­tig, dann Opti­mis­mus aus­zu­strah­len. Aller­dings wird sich auch vie­les an Inves­ti­tio­nen und Dienst­leis­tun­gen schlicht auf­ge­staut haben und nur dar­auf war­ten, dann end­lich wie­der rea­li­siert zu wer­den.

Sunk costs als zukünftiges Investitionshemmnis

Die Coro­na­kri­se und ihre Schwe­re war nicht ein­mal im Ansatz vor­her­seh­bar. Es sind vie­le Inves­ti­tio­nen jetzt getä­tigt wor­den, die ent­we­der nicht been­det wer­den kön­nen, die nicht rea­li­siert wer­den kön­nen oder nicht im Ansatz amor­ti­siert wer­den kön­nen. Ob eine geplan­te Hoch­zeit, eine Pro­duk­ti­ons­er­wei­te­rung, eine Bau­stel­le, die pau­sie­ren muss oder auch eine Wei­ter­bil­dung, bei der die erwor­be­nen Kennt­nis­se und Fer­tig­kei­ten in nächs­ter Zeit nicht ange­wandt wer­den kön­nen: es sind jetzt ganz vie­le Gel­der und Inves­ti­tio­nen getä­tigt wer­den, die kei­nen Effekt hat­ten oder umsonst waren. Die­se wer­den als sunk costs in die Öko­no­mie bezeich­net (Weibler 2010: 73). Das Pro­blem ist nun aller­dings ers­tens, dass die hier ver­sun­ke­nen Gel­der schlicht für Post-Kri­sen-Inves­ti­tio­nen feh­len, und zwei­tens, dass die Erfah­rung die­ser ver­schenk­ten Inves­ti­tio­nen wie­der­um Men­schen auch von sinn­vol­len Inves­ti­tio­nen nach der Kri­se abhal­ten kann, was den Wie­der­auf­bau ver­lang­sa­men wird. Genau des­halb soll­te ein Teil der jet­zi­gen liqui­den und inves­ti­ven Mit­tel auch für die Zeit nach der Kri­se auf­be­wahrt wer­den. Sie wer­den drin­gend benö­tigt wer­den, da vie­les brach lie­gen wird und erst reak­ti­viert wer­den muss. Hier sind dann ins­be­son­de­re die Zen­tral­ban­ken in beson­de­rem Maße in der Pflicht zu han­deln.

Warum Engpässen und Produktionsausfälle wahrscheinlich sind

Die Glo­ba­li­sie­rung war wesent­lich eine öko­no­mi­sche Glo­ba­li­sie­rung. Eine immer stär­ker ver­floch­te­ne inter­na­tio­na­le Arbeits­tei­lung, die auf­grund gesun­ke­ner Trans­ak­ti­ons- und Logis­tik­kos­ten sich ent­wi­ckelt hat und in Euro­pa ins­be­son­de­re vom Schen­gen­raum ohne Grenz­kon­trol­len pro­fi­tiert hat. Beson­ders teu­re oder spe­zi­el­le Güter wur­den oft per Luft­fracht trans­por­tiert.

All dies setzt offe­ne Gren­zen und tat­säch­lich ope­rie­ren­de Logis­tik wie Flü­ge und LKW vor­aus. Zwar sol­len die Gren­zen für Men­schen geschlos­sen wer­den, für Waren jedoch nicht. Solan­ge aber das auto­no­me Fah­ren noch in den Kin­der­schu­hen steckt, ist die­se Auf­tei­lung künst­lich, da es ja immer noch Fah­re­rin­nen und Fah­rer, Kapi­tä­nin­nen und Kapi­tä­ne, Pilo­tin­nen und Pilo­ten sind.

Vor allem aber hat sich im Zuge der inter­na­tio­na­len Arbeits­tei­lung und auf­grund des inten­si­ven Wett­be­werbs­drucks zuneh­mend eine just-in-Time oder sogar just-in-pro­cess-Pro­duk­ti­on eta­bliert, bei der benö­tig­te Tei­le genau pas­send gelie­fert wer­den sol­len, um teu­re Lager­ka­pa­zi­tä­ten und somit ver­meint­lich unnö­ti­ge Kos­ten zu ver­mei­den. Dies rächt sich nun, da just-in-time extrem stör­an­fäl­lig ist (Yogeshwar 2017: 26f; Glassner/Pernicka/Dittmar 206: 266f) und schon klei­ne Aus­fäl­le kom­ple­xe Lie­fer­ket­ten zum Erlah­men brin­gen kön­nen. Dies wie­der­um kann zu Pro­duk­ti­ons- und Lie­fer­aus­fäl­len und somit für wei­te­re Umsatz­ein­bu­ßen und Kurz­ar­beit oder Arbeits­lo­sig­keit füh­ren.

Corona und das Fixkostenproblem

Jeder Mensch und jeder Betrieb hat bestimm­te, nicht oder nicht kurz­fris­tig abän­der­ba­re Fix­kos­ten. Die wich­tigs­ten Fix­kos­ten sind für vie­le Men­schen schlicht die Mie­te, und gera­de in den Städ­ten sind die­se ja in den letz­ten Jah­ren enorm gestie­gen. Eben­so sind Ver­si­che­rungs­bei­trä­ge, lau­fen­de Kre­di­te, bestimm­te Abon­ne­ments und wei­te­re lau­fen­de Kos­ten eben Fix­kos­ten. Für die Unter­neh­men sind neben den in den Anla­gen ste­cken­den Kos­ten auch die Gehäl­ter zunächst ein­mal und völ­lig zurecht über­wie­gend Fix­kos­ten. Denn in einer sozia­len Markt­wirt­schaft soll­te das unbe­fris­te­te Nor­mal­ar­beits­ver­hält­nis der Stan­dard sein.

Die­se Kos­ten lau­fen ja jetzt erst ein­mal für alle wei­ter, obgleich gera­de bei den Unter­neh­men, ins­be­son­de­re bei Frei­be­ruf­lern und Selb­stän­di­gen die Umsatz­ein­brü­che teils dra­ma­tisch sind und nicht sel­ten in den kom­men­den Wochen (und schlimms­ten­falls Mona­ten) schlicht auf Null gehen. Genau des­halb ist es so wich­tig, dass in den jetzt ver­ein­bar­ten Hilfs­pro­gram­men nicht ein­fach nur Kre­di­te, son­dern auch Liqui­di­täts­hil­fen drin sind. Eine Insol­venz­wel­le wird sich nicht ver­mei­den, aber sehr wohl doch begren­zen las­sen. Denn das Pro­blem bei den Fix­kos­ten und den dar­aus resul­tie­ren­den Insol­ven­zen ist, dass neben die­sen tra­gi­schen per­sön­li­chen Schick­sa­len die­se immer auch Zah­lungs­aus­fäl­le nach sich zie­hen wer­den, die dann die Real­wirt­schaft immer wei­ter belas­ten. Genau des­halb ist auch die unbü­ro­kra­ti­sche Mög­lich­keit der Steu­er­stun­dun­gen und der Ver­zicht auf Voll­zugs­maß­nah­men sei­tens der Finanz­äm­ter bis Ende 2020 abso­lut fol­ge­rich­tig. Denn eigent­lich sind Steu­ern Fix­kos­ten, und so kön­nen sie zumin­dest in Tei­len zu varia­blen Kos­ten wer­den und damit Liqui­di­tät ermög­li­chen und Insol­ven­zen ver­hin­dern.

Millionenfache Dequalifizierung als volkswirtschaftliches Problem

Die deut­sche Volks­wirt­schaft ist hoch ent­wi­ckelt und sehr pro­duk­tiv. Immer mehr Wert­schöp­fung ist sehr wis­sens­in­ten­siv (Malik: 2011). Und allen Wei­ter­bil­dun­gen und Trai­nings­maß­nah­men zum Job ist das ein­fa­che Tun, das trai­ning-on-the-job, der bes­te Weg, Fähig­kei­ten und Kom­pe­ten­zen zu erhal­ten und aus­zu­bau­en (Scha­per: 2019). Men­schen, die kom­ple­xe Fer­ti­gungs­an­la­gen bedie­nen, mit Pro­gram­men arbei­ten, wel­che nur inner­halb der Fir­ma, aber nicht im Home-Office ver­füg­bar sind, die direkt mit ande­ren Men­schen arbei­ten und das in einer Form, die nicht wirk­lich durch Video­kon­fe­ren­zen ersetz­bar sind, wer­den in die­ser Zeit eine Dequa­li­fi­zie­rung erle­ben. Mil­lio­nen von Fach­kräf­ten wer­den durch die vie­le Zeit mit ihren Kin­dern enor­me päd­ago­gi­sche und didak­ti­sche Kom­pe­ten­zen erler­nen. Ihr beruf­li­ches Wis­sen aller­dings wird dadurch in Tei­len ver­blas­sen und dadurch viel an Wert­schöp­fung, die es ohne die Coro­na­kri­se gege­ben hät­te, schlicht nicht geben. Dies bezeich­net man als Oppor­tu­ni­täts­kos­ten (Young/Beckman/Baker: 2012). Die­se wer­den immens sein und einer der Haupt­grün­de der glo­ba­len Wohl­stands­min­de­rung. Je ent­wi­ckel­ter, pro­duk­ti­ver, arbeits­tei­li­ger und wis­sens­in­ten­si­ver eine Volks­wirt­schaft ist, umso gra­vie­ren­der wirkt sich die Zeit aus, die wir nicht mit unse­rer eigent­li­chen Arbeit befasst sind. Nicht umsonst haben jun­ge Müt­ter in qua­li­fi­zier­ten Jobs und Füh­rungs­po­si­tio­nen zuneh­mend Schwie­rig­kei­ten, wie­der in den Job ein­zu­stei­gen (was aber natür­lich auch mit anti­quier­ten Rol­len­bil­dern, Füh­rungs­sti­len und teils schlicht man­geln­der Fle­xi­bi­li­tät zu tun hat). Hier gilt es daher jetzt, mög­lichst auch im Home-Office tat­säch­lich wert­schöp­fen­de Tätig­kei­ten voll­füh­ren zu kön­nen und auch im Ver­gleich zum Büro mög­lichst arbeits­fä­hig zu sein.

Die Coronakrise als unglaubliche unfreiwillige Digitalisierung

Natür­lich birgt die Kri­se auch Chan­cen, und zwar ins­be­son­de­re für die Digi­ta­li­sie­rung. Hier hat Deutsch­land ja gera­de im euro­päi­schen Ver­gleich tat­säch­lich Nach­hol­be­darf (Cor­ne­li­us: 2019). Das Home-Office, wel­ches teils schon wie­der auf dem Rück­zug begrif­fen war (Kock/Kutzner 2018: 446-488), wird jetzt mil­lio­nen­fach Rea­li­tät. Men­schen wer­den Video­kon­fe­ren­zen und ver­netz­tes Arbei­ten als trai­ning-on-the-job erler­nen. Webi­na­re erle­ben eine unge­ahn­te Kon­junk­tur und die Orga­ni­sa­tio­nen, die schon vor der Kri­se in gut gepfleg­te Wis­sens­ma­nage­ment­sys­te­me inves­tiert haben, wer­den jetzt beson­ders pro­duk­tiv sein. Nach­dem dann an vie­len Stel­len Men­schen gemerkt haben wer­den, dass auch die­se Form der Arbeit mög­lich und nicht sel­ten sinn­voll ist, wird zumin­dest in Tei­len die Prä­senz­kul­tur über­dacht wer­den und die Digi­ta­li­sie­rung deut­lich vor­an­ge­schrit­ten sein. Bei den ein­zel­nen Beschäf­tig­ten, den Unter­neh­men, aber auch den Ver­wal­tun­gen. Dies wird nach der Kri­se anhal­ten und die Pro­duk­ti­vi­tät und das selbst­be­stimm­te Arbei­ten ins­ge­samt erhö­hen.

Weitere ökonomische Chancen durch die Coronakrise

Nach der Kri­se wird es viel nach­ho­len­de Kon­sum­ti­on geben. Die­je­ni­gen, die Geld haben und auf vie­les ver­zich­ten muss­ten, ins­be­son­de­re durch Aus­gangs­sper­ren, wer­den rei­sen, kon­su­mie­ren und die Annehm­lich­kei­ten des Lebens genie­ßen wol­len. Davon wer­den die­je­ni­gen pro­fi­tie­ren, die die­se Kri­se über­lebt haben. Die Maschi­nen­bau­er wer­den, nach­dem vie­les nicht pro­du­ziert wor­den ist, dann einen beson­de­ren Absatz haben, eben­so das Gesund­heits­we­sen. Wer nach dem Ende der Kri­se an den Bör­sen ein­steigt, wird schon auf­grund von Erho­lungs­ef­fek­ten Kurs­ge­win­ne ein­fah­ren, ins­be­son­de­re wenn es in der Coro­na­kri­se tat­säch­lich zur klas­si­schen V-Kur­ve an den Finanz­märk­ten kommt. Jedoch wer­den deut­lich weni­ger Men­schen über­haupt die Mög­lich­keit haben, dann ein­zu­stei­gen. Der gesam­te Bereich der Gesund­heits­wirt­schaft wird not­wen­di­ger­wei­se pro­fi­tie­ren, da sehr vie­le Men­schen auf Gesund­heits­leis­tun­gen ange­wie­sen sind und allein schon für die Prä­ven­ti­on künf­ti­ger Pan­de­mi­en sehr vie­le Mit­tel auf­ge­wen­det wer­den. Eben­so wer­den alle Anwen­dungs­be­rei­che der Künst­li­chen Intel­li­genz, wel­che daten­ge­trie­ben Geschäfts­mo­del­le betrei­ben, ent­de­cken und wei­ter­ent­wi­ckeln, in hohem Maße pro­fi­tie­ren. Jedoch wird die Zahl der Per­so­nen, Betrie­be und Bran­chen, die pro­fi­tie­ren, ver­schwin­dend gering sein im Ver­gleich zu den vie­len Insol­ven­zen, Pri­vat­in­sol­ven­zen und erzwun­ge­nen Arbeits­lo­sig­kei­ten.

The-winner-takes-it-all-Märkte vs. Wirtschaftswunder 2.0

Natür­lich wird sich die Öko­no­mie irgend­wann erho­len. Wann und wie stark, ist jedoch nicht nicht abseh­bar. Und es wird vor allem kei­ne gleich­wer­ti­ge Erho­lung sein, von der alle zumin­dest halb­wegs pro­fi­tie­ren, wie es beim so genann­ten „Wirt­schafts­wun­der“ (Herr­mann: 2020; Ther: 2019) der Fall war. Denn damals stieg tat­säch­lich simul­tan die Pro­duk­ti­vi­tät und die Mas­sen­kauf­kraft. Die Ana­lo­gie ist hier, dass es eine Zeit der öko­no­mi­schen und kon­sum­ti­ven Zurück­hal­tung bis zu einem bestimm­ten Punkt gab, näm­lich der Wäh­rungs­re­form, was hier das Ende der Kri­se sein wird. Das Pro­blem ist nur, dass wir es damals mit sehr regio­na­len Märk­ten und kaum ersetz­ba­ren Pro­duk­ten zu tun haben. Durch die Glo­ba­li­sie­rung und ins­be­son­de­re die Digi­ta­li­sie­rung, wel­che ja durch die Coro­na­kri­se inten­si­viert wer­den wird, haben sich Märk­te immer stär­ker in „the win­ner-takes-it-all-Märk­te“ trans­for­miert (Kirch­ner: 2019; Lut­ter: 2013). Das bedeu­tet, dass die Bes­ten, Schnells­ten, Güns­tigs­ten und/oder Effek­tivs­ten Unter­neh­men die meis­ten Gewin­ne abschöp­fen wer­den, wäh­rend für den zwei­ten und drit­ten Anbie­ter kaum etwas übrig bleibt. Denn Online ist ja mitt­ler­wei­le alles ver­füg­bar, und war­um soll man sich mit weni­ger als dem Markt­füh­rer zufrie­den geben? Jeden­falls ist das die Logik, der immer mehr Kon­su­men­tin­nen und Kon­su­men­ten fol­gen (vgl. Reck­witz: 2018). Das aber bedeu­tet dann zwangs­läu­fig, dass die Gewin­ne des Auf­schwungs sehr ungleich ver­teilt sein wer­den (Piket­ty: 2014), was für die sozia­le Sta­bi­li­tät der Gesell­schaft erheb­li­che Nach­tei­le mit sich brin­gen wird.

Abgeleitete Maßnahmen

  1. Alle bis­her getrof­fe­nen Ret­tungs­maß­nah­men sind rich­tig und müs­sen ggf. noch erwei­tert wer­den
  2. Die Steu­er­stun­dun­gen sowie der Ver­zicht auf mög­li­che Voll­stre­ckungs­maß­nah­men bis Ende 2020 sind rich­tig. Je nach Kri­sen­ver­lauf soll­ten auch die­se ver­län­gert wer­den.
  3. Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se soll­ten mög­lichst bei­be­hal­ten wer­den, um Men­schen nicht in Exis­tenz­nö­te zu stär­ken und Wis­sen und Erfah­run­gen in den Unter­neh­men zu hal­ten.
  4. Es soll­ten nicht nur Kre­di­te, son­dern direk­te Liqui­di­täts­hil­fen aus­ge­ge­ben wer­den
  5. Wei­ter­bil­dungs­an­ge­bo­te für das Home-Office wie Mas­si­ve Open Online Cour­ses und Webi­na­re soll­ten bereit­ge­stellt und ggf. geför­dert wer­den
  6. Kurz­fris­ti­ge Arbeits­platz­ver­la­ge­run­gen in die Berei­che, in denen jetzt beson­ders Arbeits­kräf­te gebraucht wer­den (Ein­zel­han­del, Logis­tik etc) sol­len unbü­ro­kra­tisch ermög­licht und ggf. geför­dert wer­den.
  7. Es soll­ten inves­ti­ve Mit­tel für die Zeit nach der Kri­se bereit­ge­hal­ten wer­den, um den Wirt­schafts­auf­schwung zu sti­mu­lie­ren. Es wird einen euro­päi­schen Mar­shall­plan brau­chen.

Lite­ra­tur

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Kirch­ner, Moritz (2019). Der neu­es­te Geist des Kapi­ta­lis­mus. Pots­dam: Pots­da­mer Uni­ver­si­täts Ver­lag.

Kock, Klaus/Kutzner, Edel­gard (2018). Arbeit als kol­le­gia­les Han­deln – Prak­ti­ken von Soli­da­ri­tät und Kon­kur­renz am Arbeits­platz. Indus­tri­el­le Bezie­hun­gen, 4, S. 446-468.

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Lorey, Isa­bell (2013). Das Regime der Pre­ka­ri­sie­rung. Euro­pas Poli­tik mit Schuld und Schu­len. Blät­ter für deut­sche und inter­na­tio­na­le Poli­tik, 6, S. 91-100.

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