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1.    Pro­log

Die Nicht­selbst­ver­ständ­lich­keit der Demo­kra­tie

Die Demo­kra­tie ist eine Regie­rungs- und Gesell­schafts­form, die als selbst­ver­ständ­lich ange­nom­men wird, es jedoch nicht ist. Im Gegen­teil, sie beruht auf bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen, um funk­tio­nie­ren zu kön­nen. Deren Exis­tenz, aber auch die kon­kre­te Aus­ge­stal­tung der Demo­kra­tie sorgt dann dafür, dass sie unter­schied­lich gut funk­tio­niert (vg. Schmidt: 2010). Das skep­ti­sche Dik­tum Win­ston Chur­chills, dass die Demo­kra­tie die schlech­tes­te aller Staats­for­men sei, mit Aus­nah­me all derer, die wir bis­her aus­pro­biert haben, scheint sei­ne Aktua­li­tät zu behal­ten.

Demo­kra­tie bedeu­tet in sei­nem ety­mo­lo­gi­schen und seman­ti­schen Kern die Herr­schaft des Vol­kes. In einer in ihrem nor­ma­ti­ven Eigen­an­spruch reprä­sen­ta­ti­ven Demo­kra­tie tref­fen Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler idea­li­ter anhand einer infor­mier­ten Ent­schei­dung, in der dann deren poli­ti­sche Prä­fe­ren­zen aus­ge­drückt wer­den (vgl. Brenn­an: 2017). Die­se Prä­fe­ren­zen wer­den dann von den ent­spre­chen­den Reprä­sen­tan­tin­nen und Reprä­sen­tan­ten in kon­kre­te Poli­tik umge­setzt, wobei die jewei­li­gen Prä­fe­ren­zen gemäß ihren Pro­por­tio­nen inner­halb der Gesell­schaft (so wie sie das Wahl­er­geb­nis abbil­det) umge­setzt wer­den. Dar­aus soll dann eine ent­spre­chend infor­mier­te, in einem offe­nen poli­ti­schen Dis­kurs abge­wo­ge­ne Ent­schei­dung getrof­fen wer­den. Die poli­ti­sche Rea­li­tät sieht viel­fach anders aus. Die Demo­kra­tie als nor­ma­ti­ves Pro­jekt (Wink­ler: 2009) wird empi­risch viel­fach fal­si­fi­ziert. War­um dies so ist, muss erör­tert wer­den, da die Abwei­chun­gen vom demo­kra­ti­schen Ide­al ihre kon­kur­ren­te Kri­sen­haf­tig­keit mit­be­din­gen.

Die Demo­kra­tie, wel­che his­to­risch ins­be­son­de­re nach dem Zwei­ten Welt­krieg sowie dem Ende des Kal­ten Krie­ges einen glo­ba­len Sie­ges­zug ange­tre­ten hat (Priest­land: 2009), erscheint heu­te nicht mehr als Selbst­ver­ständ­lich­keit. Sie wird auch nicht mehr in neo­he­ge­lia­ni­scher Manier als das not­wen­di­ge Telos der Geschich­te ange­se­hen, wie es Fran­cis Fuku­ya­ma nach dem Zusam­men­bruch der Sowjet­uni­on theo­re­ti­sier­te (von Lucke 2015: 18). Mitt­ler­wei­le wird selbst über eine „Demo­kra­ti­sche Rezes­si­on“ spe­ku­liert (Dia­mond: 2015).

Die Emer­genz mul­ti­pler demo­kra­ti­scher Kri­sen

Was sich in jedem Fall fest­hal­ten lässt, ist dass die Demo­kra­tie selbst in der Demo­kra­tie steckt (Mer­kel: 2015), und vie­le real exis­tie­ren­de Demo­kra­ti­en mul­ti­ple Kri­sen auf­wei­sen (Men­zel 2016: 35; Schmit­ter 2015: 33; Jaeggi/Loick 2013: 9). Die dar­aus ent­ste­hen­de Fra­ge ist natür­lich, wie es zur Induk­ti­on die­ser viel­fa­chen Kri­sen der Demo­kra­tie kam, und was dies für Aus­wir­kun­gen auf die real exis­tie­ren­de Demo­kra­tie hat und haben wird.

Ein Teil der Kri­sen­haf­tig­keit der Demo­kra­tie kann durch exter­nen Druck erklärt wer­den. Gera­de in jüngs­ter Zeit haben auto­ri­tä­re poli­ti­sche Sys­te­me und Staa­ten Demo­kra­ti­en her­aus­ge­for­dert. Ein rele­van­ter Akteur ist hier der rus­si­sche Auto­ri­ta­ris­mus (vgl. Shevt­so­va: 2015), wel­cher nach­weis­bar und nicht nach­weis­bar in west­li­chen Demo­kra­ti­en inter­ve­nier­te, sei es durch Wahl­be­ein­flus­sun­gen oder Sen­der wie Rus­sia Today. Eine wei­te­re rele­van­te demo­kra­ti­sche Her­aus­for­de­rung ist der chi­ne­si­sche Ver­such, die Mei­nungs­frei­heit zuneh­mend zu unter­drü­cken und digi­ta­le Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel für eine Selbst­go­ver­nan­ce im Sin­ne der kom­mu­nis­ti­schen Par­tei zu nut­zen (Ash: 2016). Eine per­ma­nen­te demo­kra­ti­sche Her­aus­for­de­rung stel­len die ara­bi­schen Auto­ri­ta­ris­men Theo­kra­ti­en dar, die einen sehr expli­zi­ten Gegen­ent­wurf zu west­li­chen Demo­kra­tie­mo­del­len lie­fern (Brown 2013: 256), und die sich vor allem auch gegen­über dem demo­kra­tisch inten­dier­ten  „ara­bi­schen Früh­ling“ in ihrer gro­ßen Mehr­zahl als resi­li­ent erwie­sen (Masoud 2015: 75). Dar­aus ergibt sich, dass die Kri­sen von Demo­kra­ti­en durch die exter­ne Her­aus­for­de­rung ver­schie­de­ner Auto­ri­ta­ris­men par­ti­ell erklärt wer­den kann (vgl. Caro­thers: 2015; Kagan: 2015).

Die­ses Grund­pro­blem der Her­aus­for­de­rung durch den Auto­ri­ta­ris­mus geht jedoch noch wei­ter. Denn zuneh­mend fin­den sich auto­ri­tä­re Poli­tik­an­sät­ze auch inner­halb von Demo­kra­ti­en, und wer­den auto­ri­tä­re Poli­ti­ken in Demo­kra­tie imple­men­tiert (Schmit­ter: 2015). Der auf­fäl­ligs­te Aus­druck des­sen ist sicher der Trumpis­mus, die auto­ri­tä­re und per­so­na­lis­ti­sche Poli­tik Donald Trumps (Brown: 2017; Guilford/Sonnad: 2017). Es geht die­sem mas­siv um die Mobi­li­sie­rung von Res­sen­ti­ments, nicht um eine poli­ti­sche Inklu­si­on aller Mit­glie­der der Gesell­schaft (Haber­mas 2016: 36).

Demo­kra­tie­en­do­ge­ner Auto­ri­ta­ris­mus als Kri­sen­phä­no­men

Ver­schärft wird die­ses Pro­blem des Auto­ri­ta­ris­mus inner­halb von Demo­kra­ti­en, wel­cher letz­te­re bedroht, durch das Vor­an­schrei­ten rechts­po­pu­lis­ti­scher und auto­ri­täts­af­fi­ner Par­tei­en und Ideo­lo­gi­en. Die Gren­zen des Sag­ba­ren haben sich ver­scho­ben, ins­be­son­de­re durch die Erfol­ge der „Alter­na­ti­ve für Deutsch­land“ (AfD) im par­la­men­ta­ri­schen und außer­par­la­men­ta­ri­schen Raum (Decker/Kiess/Brähler: 2016; Bednarz/Giesa: 2015). Der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Albrecht von Lucke bringt das Pro­blem wie folgt auf den Punkt: „„Spä­tes­tens seit 9/11 frisst sich das Gift des Auto­ri­tä­ren mehr und mehr auch in die west­li­che, neo­li­be­ral dere­gu­lier­te Gesell­schaft. Das zeigt sich am Vor­marsch der Rechts­par­tei­en in der Euro­päi­schen Uni­on, von Grie­chen­land über Ungarn bis Frank­reich und Groß­bri­tan­ni­en; das zeigt sich aber auch in der lücken­lo­sen Bespit­ze­lung der Bür­ger durch die NSA. Nach 9/11 haben spe­zi­ell die USA Züge eines tota­li­tä­ren Über­wa­chungs­staa­tes ange­nom­men.“ (von Lucke 2014: 7). Den­noch reicht auch die Inkor­po­rie­rung des Auto­ri­ta­ris­mus inner­halb von Demo­kra­ti­en als Kri­sen­ex­plan­ans nicht aus, da das Phä­no­men für sich genom­men nicht neu ist, aller­dings im Zuge der so genann­ten Flücht­lings­kri­se wie­der an Momen­tum gewann.

Demo­kra­tie und Kapi­ta­lis­mus?

Gera­de in jüngs­ter Zeit haben Demo­kra­tie und kapi­ta­lis­ti­sche Markt­wirt­schaft einen gemein­sa­men Sie­ges­zug ange­tre­ten. Aller­dings wird auch zuneh­mend bezwei­felt, ob sie tat­säch­lich dau­er­haft mit­ein­an­der kom­pa­ti­bel sind (Kocka/Merkel: 2015; Klein: 2015; Stre­eck: 2013). Klar ist natür­lich, dass die kapi­ta­lis­ti­sche Pro­duk­ti­ons­wei­se (Marx: 1977) sowie die kapi­ta­lis­tisch gepräg­te Gesell­schafts­for­ma­ti­on die Demo­kra­tie beein­flusst hat. Jedoch hat die kapi­ta­lis­ti­sche Wirt­schafts­wei­se bestän­dig kri­sen­haf­te Ten­den­zen (Samir: 2011; Alt­va­ter: 2011; Haber­mas: 1973), wes­halb die Dia­lek­tik von Demo­kra­tie und Kapi­ta­lis­mus als Kri­sen­ex­plan­ans sicher eben­falls nicht aus­rei­chend ist. Jedoch öff­net sich in der Betrach­tung der Ver­än­de­run­gen des Ver­hält­nis­ses von Demo­kra­tie und Kapi­ta­lis­mus eine zen­tra­le Kri­sen­ex­plana­ti­on der zeit­ge­nös­si­schen Demo­kra­ti­en.

Der Kapi­ta­lis­mus ist, wie die his­to­ri­sche Empi­rie zeigt, ein höchst dyna­mi­sches und wand­lungs­fä­hi­ges Gebil­de, wel­ches sei­ne kon­kre­te Erschei­nungs­form immer wie­der ver­än­dert und nur in dyna­mi­schen statt sta­ti­schen Model­len beschrie­ben wer­den kann (Hengs­bach 2008: 173; Deutsch­mann 2008: 32; Der kapi­ta­lis­ti­sche Markt kann ver­stan­den wer­den als ein Raum her­aus­ra­gen­der Kon­tin­genz (Bröck­ling 2007: 72). Oder, wie es bereits im kom­mu­nis­ti­schen Mani­fest heißt: „Die Bour­geoi­sie kann nicht exis­tie­ren, ohne die Pro­duk­ti­ons­in­stru­men­te, also die Pro­duk­ti­ons­ver­hält­nis­se, also sämt­li­che gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se fort­wäh­rend zu revo­lu­tio­nie­ren. Unver­än­der­te Bei­be­hal­tung der alten Pro­duk­ti­ons­wei­se war dage­gen die ers­te Exis­tenz­be­din­gung aller frü­he­ren indus­tri­el­len Klas­sen. Die fort­wäh­ren­de Umwäl­zung der Pro­duk­ti­on, die unun­ter­bro­che­ne Erschüt­te­rung aller gesell­schaft­li­chen Zustän­de, die ewi­ge Unsi­cher­heit und Bewe­gung zeich­net die Bour­geoi­s­epo­che von allen frü­he­ren aus.“ (Marx/Engels 1972: 465). Dar­aus ergibt sich, dass der Kapi­ta­lis­mus eine umfas­sen­de Dyna­mik hat, die auch Aus­druck sei­ner imma­nen­ten Beschleu­ni­gungs­lo­gik (Rosa: 2005) ist. Jedoch lässt sich fest­stel­len, dass all die­se Merk­ma­le kei­ne exklu­si­ven Merk­ma­le des Kapi­ta­lis­mus sind.

Kom­ple­xi­tät wird gemein­hin so ver­stan­den, dass es sehr vie­le ver­schie­de­ne rele­van­te Varia­blen gibt. Die­se ver­schie­de­nen Varia­blen ste­hen in viel­fa­chen Rela­tio­nen zuein­an­der und sind in beson­de­rem Maße ver­netzt. Das gesam­te Sys­tem ist durch eine beson­de­re Dyna­mik gekenn­zeich­net, aber auch Intrans­pa­renz, da nicht immer klar ist, wel­che sys­te­mi­sche Ver­än­de­rung was genau aus­löst (Dör­ner: 2010. Eben­so wer­den inner­halb der Kom­ple­xi­tät für gewöhn­lich ver­schie­de­ne Zie­le ver­folgt. Es herrscht eine Poli­te­lie des Sub­jek­tes inner­halb der Kom­ple­xi­tät vor (vgl. Kanning/Schuler 2013: 220). Genau die­se Beschrei­bun­gen, wie sie für die Kom­ple­xi­tät getä­tigt wer­den, erschei­nen wie eine Phä­no­me­no­lo­gie heu­ti­ger Finanz­märk­te (Schu­bert 2011:58)

Kapi­ta­lis­mus als Kom­ple­xi­tät, Demo­kra­tie als Kon­tin­genz

Ent­schei­dend ist nun fol­gen­de Fest­stel­lung: Kapi­ta­lis­mus ist Kom­ple­xi­tät. Pro­li­fe­rie­ren­de Kom­ple­xi­tät, wel­che im Zuge der Fort­ent­wick­lung hin zu einem digi­ta­li­sier­ten Kapi­ta­lis­mus auch immer wei­ter ansteigt (vgl. Brynjolfsson/McAfee: 2014). Das wie­der­um heißt für die Demo­kra­tie, dass sie theo­re­tisch eine immer wei­ter stei­gen­de Kom­ple­xi­tät aus­hal­ten, ja absor­bie­ren kön­nen muss (Luh­mann: 2002).

Jedoch gibt es viel­fäl­ti­ge Evi­den­zen dafür, dass die Demo­kra­tie auf der kon­tin­gen­ten Vor­aus­set­zung einer bewäl­tig­ba­ren Kom­ple­xi­tät basiert, und dass der Meta­fak­tor hin­ter den der­zei­ti­gen Kri­sen­ten­den­zen die immer wei­ter pro­li­fe­rie­ren­de Kom­ple­xi­tät ist. Dar­aus resul­tiert, dass die Kom­ple­xi­tät zuneh­mend die kon­tin­gen­ten Vor­aus­set­zun­gen der Demo­kra­tie unter­mi­niert, und die Demo­kra­tie selbst, als Idee wie als kon­kre­tes poli­ti­sches Sys­tem, sowohl durch per­ma­nen­te Demo­kra­tie­kri­sen als auch durch Viel­fach­kri­sen kon­kre­ter Demo­kra­ti­en immer wei­ter ero­diert. Von die­sen Gefah­ren für die Demo­kra­tie selbst han­delt die­se Schrift.

Es gibt Alter­na­ti­ven zur Demo­kra­tie

Es wird auf­ge­zeigt wer­den, dass es drei wesent­li­che Alter­na­ti­ven zu einer wei­te­ren demo­kra­ti­schen Ent­wick­lung gibt, sofern die Demo­kra­tie­ero­si­on nicht gestoppt wird. Die wohl rele­van­tes­te ist der Auto­ri­ta­ris­mus, wel­cher bereits jetzt der wesent­li­cher Ant­ago­nist der Demo­kra­tie ist. Bereits jetzt sind inner­halb von Demo­kra­ti­en auto­ri­tä­re Dyna­mi­ken zu ver­zeich­nen (Sten­ner: 2005). Im Ver­gleich zu den kri­seln­den Demo­kra­tie erschei­nen auto­ri­tä­re Staa­ten wie Chi­na als kraft­strot­zend und vital.  Diver­se auto­ri­tä­re Staa­ten wie Russ­land und Chi­na beschrei­ten direkt die­sen Weg. Aber auch zuneh­mend und im Selbst­ver­ständ­nis illi­be­ra­le Demo­kra­ti­en wie Polen und Ungarn neh­men einen, wenn auch schlei­chen­de­ren, Ent­wick­lungs­pfad in Rich­tung Auto­ri­ta­ris­mus. Gera­de das Bei­spiel der USA zeigt aber sehr ein­drück­lich, dass auch west­li­che Demo­kra­ti­en nicht davor gefeit sind, dass inne­re Auto­ri­ta­ris­men zu demo­kra­ti­scher Rezes­si­on füh­ren kön­nen (vgl. Wink­ler: 2017). Der Auto­ri­ta­ris­mus, ins­be­son­de­re in sei­ner Spiel­art des Rechts­po­pu­lis­mus ist also die direk­tes­te Alter­na­ti­ve zu einer zukünf­ti­gen demo­kra­ti­schen Ent­wick­lung.

Die zwei­te Alter­na­ti­ve einer post­de­mo­kra­ti­schen Ent­wick­lung (vgl. Crouch: 2008) ist die Emer­genz von Tech­no­kra­ti­en. Schon die Reak­tio­nen auf die Euro­kri­se bestan­den häu­fig in tech­no­kra­ti­schen insti­tu­tio­nel­len Ver­schie­bun­gen (Stre­eck 2013b: 58). Es zeigt sich empi­risch-demo­sko­pisch, dass Exper­ti­se und eine effek­ti­ve Exe­ku­ti­ve Legi­ti­ma­ti­ons­ge­win­ne im Ver­gleich zur demo­kra­ti­schen Deli­be­ra­ti­on ver­zeich­nen (Merkel/Krause 2015: 58f.). Die his­to­ri­sche Kri­tik des Par­la­men­ta­ris­mus als inef­fek­ti­ver Schwatz­bu­de, sie ersteht wie­der auf und erhöht die rela­ti­ve Legi­ti­ma­ti­on tech­no­kra­ti­schen Regie­rens. Eben­so erscheint die Schnel­lig­keit tech­no­kra­ti­scher Ent­schei­dun­gen der demo­kra­ti­schen Abwä­gung häu­fig als Über­le­gen, bzw. demo­kra­ti­sche Pro­zes­se als schlicht zu lang­sam für eine beschleu­nig­te Welt (Rosa 2016: 97). Der Ruf nach Tech­no­kra­ti­en dürf­te ins­be­son­de­re dann lau­ter wer­den, wenn auf­grund der gestie­ge­nen poli­ti­schen Kom­ple­xi­tät durch die neue­ren Viel­par­tei­en­par­la­men­te zuneh­mend die poli­ti­sche Steue­rungs­fä­hig­keit (vgl. Luh­mann: 2002), kon­kret die Fähig­keit zum Regie­ren-kön­nen sei­tens der klas­si­schen Par­tei­en­po­li­tik in Fra­ge gestellt wird.

Die drit­te Alter­na­ti­ve erscheint auf den ers­ten Blick wie ein alter Wein in neu­en Schläu­chen. Es ist die Epis­to­kra­tie, also die Beschrän­kung des Wahl­rechts auf die Wis­sen­den. Die­se Alter­na­ti­ve, wel­che ganz wesent­lich vom Phi­lo­so­phen Jason Brenn­an (2017) mit Inbrunst ver­foch­ten wird, geht davon aus, dass trotz der for­ma­len Anfor­de­rung der Reprä­sen­ta­ti­ons­gleich­heit (one man, one vote) Men­schen in unter­schied­li­chem Maße zu poli­ti­schem Han­deln und poli­ti­scher Refle­xi­on geeig­net sind, wes­halb den bes­ser gebil­de­ten ein höhe­rer Stel­len­wert zukom­men soll­te. Die­ser poli­tisch-phi­lo­so­phi­sche Neo­pla­to­nis­mus gewinnt noch an empi­ri­scher Evi­denz, wenn wir schon jetzt eine klas­sen­spe­zi­fi­sche Wahl­ab­sti­nenz (Hadjar/Köthemann: 2014) kon­sta­tie­ren müs­sen, eben­so eine Augen­schein­va­li­di­tät der Dia­gno­se. Jedoch muss drin­gend über die Impli­ka­tio­nen der inten­dier­ten Abschaf­fung his­to­ri­scher Errun­gen­schaf­ten und damit letzt­lich auch der Demo­kra­tie gespro­chen wer­den.

Epi­log: Was tun?

All die­se drei emer­gen­ten Alter­na­ti­ven zur Demo­kra­tie als Gesell­schafts­form zei­gen auf, dass gera­de in Zukunft die Exis­tenz der Demo­kra­tie alles ande­re als eine Selbst­ver­ständ­lich­keit ist. Die Ret­tung der Demo­kra­tie durch ihre Trans­for­ma­ti­on hin zu einer stär­ke­ren Resi­li­enz gegen­über der stei­gen­den Demo­kra­tie ist eine tages­ak­tu­el­le Auf­ga­be.

Das Wich­tigs­te hier­für ist eine mas­si­ve Stei­ge­rung der Mit­tel für poli­ti­sche Bil­dung sowie umfas­sen­de­re Anstren­gun­gen in Rich­tung Demo­kra­tie­er­zie­hung. Doch auch die Poli­tik muss sich wei­ter­bil­den und zu einer Spra­che zurück­fin­den, die ver­ständ­lich ist und Men­schen kogni­tiv und moti­va­tio­nal mit­nimmt (vgl. Weh­ling: 2016). Vor allem aber braucht es eine neue demo­kra­ti­sche Demut. Denn von der natür­li­chen oder his­to­risch, gar deter­mi­nis­tisch erwie­se­nen Über­le­gen­heit der Demo­kra­tie kann nicht län­ger aus­ge­gan­gen wer­den. Hilf­reich ist es hin­ge­gen, sich regel­mä­ßig das Dik­tum Chur­chills vor Augen zu füh­ren: „Die Demo­kra­tie ist die schlech­tes­te aller Staats­for­men, mit Aus­nah­me all derer, die wir bis­her aus­pro­biert haben.“ Wenn wir nicht auf­pas­sen und die Demo­kra­tie zukunfts- und kom­ple­xi­täts­fest machen, kann genau die­ses Aus­pro­bie­ren in naher Zukunft wie­der begin­nen.

Der

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